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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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stand, schob mit dem Fuß sein Köfferchen langsam näher zu sich hin. Er wollte nach Hause, der schnell rotierende Ventilator über seinem Kopf brachte ihm keine Kühlung mehr. Sein Blick wanderte über die erhitzten Frauen, die gar nicht mehr aufhören konnten, von dem verstorbenen Schneider zu reden und von ihren Sorgen, was sie nun auf dem Fest anziehen sollten. Obwohl er Hunderte Tips für festliche Fingernägel hatte, bekam er keine Chance. Sein Blick blieb an der einzigen europäischen Frau in der Gesellschaft haften. Er fragte sich, wie sie in diesen indischen Damenclub geraten war, es lebten kaum noch Briten in seinem Land, das schon seit Jahrzehnten das Joch des Raj abgeschüttelt hatte. Sie trug das gleiche uncharmante Kleid wie die anderen Frauen, nur hatte ihres ein Schottenmuster, während die meisten Damen Blumen oder florale Muster bevorzugten. Augenscheinlich hatte der verstorbene Schneider nicht viel Talent für das Entwerfen und Nähen von Kleidern besessen.
    »Ich kenne einen sehr guten Schneider«, sagte er spontan.
    Es dauerte einen Moment, bis die Frauen die Information zur Kenntnis nahmen. Dann bestürmten sie ihn mit Fragen. Wo wohnte der Mann, war er teuer, hatte er schon mal mit echter Chinaseide gearbeitet, kannte er mehr als ein Schnittmuster, aus was für einer Familie kam er, besaß er eine eigene Nähmaschine, wann konnte er anfangen …
    »Ich kenne ihn nicht persönlich«, stotterte der Nagelspezialist.
    Enttäuschtes Seufzen war zu hören.
    »Aber meine Cousine väterlicherseits sagt, daß er ein absoluter Meister ist.« Der Mann blickte auf die Gruppe Frauen vor ihm in ihren Sackkleidern. »Er hat verschiedene Schnittmuster, und er scheint nicht teuer zu sein, aber …« Er zögerte.
    »Was aber?« wollten die Frauen wissen.
    »Er kommt nur, wenn er es selbst will.«
    »Er muß es selbst wollen?« mokierte sich die Frau von Nikhil Nair.
    »Er ist äh …«, sagte der Mann, »anders als andere Darsi.«
    »So wie die Modedesigner in Paris«, gurrte die Frau von Adeeb Tata, die gern zeigte, daß sie mehr von der Welt gesehen hatte als die anderen.
    »Ja, da könnte was dran sein«, sagte der Nagelmann und packte die Kunsthand in sein Köfferchen.
     
    Schnaufend und verschwitzt stellte Charlotte das Fahrrad in den Schuppen. Die Sonnenstrahlen stachen durch die vielen Löcher im Dach. Sie nahm sich vor, den Lloyds und das Fahrrad ins Klavierzimmer zu stellen, wenn der Monsun einsetzte, denn seit sie den Flügel verkauft hatte, benutzte sie den Raum nur noch selten. Sie schlurfte zum Haus, die Hitze, die ihr schon den ganzen Morgen zusetzte, wurde noch schlimmer, und sie sah zu ihrer Erleichterung, daß Hema die Fenster im Kinderzimmer geschlossen hatte. In der Ferne gellte wieder die Sirene. Von neuem setzte ihr Herzschlag aus. Sie hielt Ausschau, ob sie irgendwo Rauch sah, aber am Himmel war kein Wölkchen.
    Im Haus hatte sich die Hitze nicht durch die geschlossenen Läden, Vorhänge, Fenster und Türen aussperren lassen. Charlotte machte eine Lampe an, schaltete den Ventilator auf die höchste Stufe und legte sich aufs Sofa, das darunter stand. Ihre Beine pochten, und ihre Füße waren geschwollen. Sie wünschte sich, daß Hema da wäre, er würde ihr eine Schüssel mit kaltem Wasser bringen, aber der Butler war zu einem Laden in der Innenstadt unterwegs, da sie bei den Geschäften im Viertel nicht anschreiben lassen konnten. Sie blickte auf das Büfett, gefüllt mit dem Wedgwood-Service, das sie zur Hochzeit bekommen hatte. Letzten Monat hatte sich ein Händler dafür interessiert, aber einen lachhaft niedrigen Preis geboten. Der Mann war schließlich nur mit der silbernen Suppenkelle abgezogen, die ihre Eltern zu ihrer Hochzeit bekommen hatten.
    Charlotte stand auf, trottete die Treppe hoch und ließ im Badezimmer eine Handbreit Wasser in die Wanne ein. Sie entspannte sich, als ihre Füße in das kühle Naß eintauchten. Sie sah auf ihre geäderten Füße in der alten gußeisernen Wanne, der man die vielen Jahre des intensiven Gebrauchs ansah. Ihr Zeh spielte mit der schwarzen Schnur, die am Stöpsel befestigt war. Sie erinnerte sich, wie Donald den Stöpsel immer herauszog, weil er glaubte, die Schnur sei ein Tier. Er fürchtete sich vor Schlangen, so wie er sich auch vor Spinnen und Insekten gefürchtet hatte. Sie hatte lange nichts von ihm gehört. Auf ihren letzten Brief, den sie ihm zu Weihnachten geschrieben hatte, hatte sie nur eine aufwendige Karte zurückbekommen mit einem
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