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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr
Autoren: Philip K. Dick
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was bleibt, sind die dunklen, feurigen Augen, die unter den buschigen Brauen hervorschauen, und das ursprüngliche schlanke Geschöpf ist irgendwo eingesperrt, wo es weder sprechen noch spielen oder lieben oder fliehen kann. Das Klappern der Absätze auf dem Pflaster, der Drang nach dem Leben; alles ist ve r schwunden, und nur ein schlurfender, schleppender Laut bleibt zurück. Der entsetzlichste Laut, den es in dieser Welt gibt: der des Es-war-einmal; lebendig in der Vergangenheit, verfallen in der Gegenwart, ein Leichnam aus Staub in der Zukunft. Nichts verändert sich in Tijuana, und dennoch b e endet niemand seine normale Lebensspanne. Die Zeit ve r geht hier so schnell, und gleichzeitig bleibt sie stehen. Man nehme nur meine Situation, dachte er. Ich begehe zehn Jahre in der Zukunft Selbstmord, oder besser, ich lösche ein Leben aus, das zehn Jahre zurückliegt. Wenn ich dies wirklich tue, was wird dann aus dem Eric Sweetscent, der jetzt für Kaiser in Oakland arbeitet? Und die zehn Jahre, die er damit ve r bracht hat, sich um Kathy zu kümmern – wie wirkt sich das auf sie aus?
    Vielleicht ist dies mein schwacher Versuch, sie zu verle t zen. Eine weitere Strafe, weil sie krank ist.
    Unter meiner oberflächlichen Vernunft verbergen sich verschrobene Ansichten, dachte er. Man kann die Kranken nicht genug strafen. Ist es das? Mein Gott, sagte er sich. Kein Wunder, daß ich mich selbst hasse.
    Er hielt die Packung G-Totex blau in der Hand, versuchte, ihr Gewicht zu schätzen. Spürte die Anziehungskraft der Erde. Ja, dachte er, die Erde mag sogar dieses hier. Sie a k zeptiert alles.
    Etwas rollte über seinen Schuh.
    Er senkte den Kopf und entdeckte ein kleines Wägelchen, das in den Schutz der Schatten und Abfallhaufen davonrollte.
    Das Wägelchen wurde von einem anderen verfolgt. In dem Gewirr der alten Zeitungen und Flaschen trafen sie au f einander, und dann erbebte der Abfall, und Teile flogen nach allen Richtungen, als die beiden Wägelchen miteina n der kämpften, sich gegenseitig rammten und versuchten, das Lenkzentrum des Gegners, den Faulen Braunen Hund, zu zerstören.
    Sie existieren noch immer, fragte er sich ungläubig. Nach zehn Jahren? Aber wahrscheinlich baut Bruce Himmel sie noch immer zusammen. Wenn das stimmte, dann mußte T i juana inzwischen von ihnen nur so wimmeln. Es fiel ihm schwer, diese Erkenntnis zu akzeptieren. Er beobachtete den Kampf der beiden Wägelchen weiter; es war einem von ihnen gelungen, den Faulen Braunen Hund des Gegners aus der Verankerung zu lösen, und es schien jetzt zu triumphieren. Es rollte zurück und machte sich für den Todesstoß bereit.
    Während es sich in die richtige Position manövrierte, g e lang es dem beschädigten Exemplar, sich in den Schutz e i ner zerbeulten galvanisierten Zinkdose zu flüchten und so der Vernichtung zu entgehen. So geschützt, versank es in Bewegungslosigkeit, bereit, den Fortgang der Dinge abz u warten, auf ewig, wenn es sein mußte.
    Eric stand auf, bückte sich und griff nach dem stärkeren Wägelchen; wie rasend drehten sich seine Räder, und i r gendwie gelang es ihm, sich aus der Umklammerung zu l ö sen. Klappernd prallte es auf dem Boden auf, rollte zurück, manövrierte umher und rammte dann seinen Fuß. Überrascht trat er einen Schritt zurück. Das Wägelchen griff ihn erneut an, und er wich weiter zurück. Zufrieden beschrieb es einen Kreis und ratterte dann davon, war schließlich bald ve r schwunden.
    Der Verlierer befand sich noch immer in der Dose und wartete.
    »Ich werde dir nichts tun «, erklärte Eric und kniete ni e der, um das Wägelchen besser sehen zu können. »Schon gut «, sagte er und richtete sich wieder auf. »Ich habe ve r standen. « Es wußte, was es wollte. Es gab keine Möglic h keit, es dabei zu stören.
    Selbst diese Dinge, sagte er sich, sind entschlossen, zu leben.
    Bruce hat recht gehabt. Sie haben ihre Chance verdient, ihren winzigen Platz unter der Sonne und dem Himmel. Das ist alles, worum sie bitten, und es ist nicht viel. Er dachte: Ich kann nicht einmal ihrem Beispiel folgen, kann nicht standhalten, nicht einmal meinen Verstand gebrauchen, um in einer abfallübersäten Gasse Tijuanas zu überleben; dieses Ding dort, das in der Zinkdose Schutz gesucht hat, keine Frau, keine Karriere, kein Konap und kein Geld und nicht einmal die Möglichkeit besitzt, auch nur eines dieser Dinge je zu erreichen, dieses Ding, es hält stand. Aus Gründen, die mir unbekannt sind, ist sein Lebenswille
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