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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr
Autoren: Philip K. Dick
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Eric und legte auf.
    Er verließ die Videofonzelle. Er hat recht, dachte er. Wäre ich vernünftig … aber ich bin es nicht. Die Sternmenschen basteln vermutlich derzeit an einem Notfallplan und bereiten sich darauf vor loszuschlagen. Ich weiß es, und trotzdem fühle ich es nicht. Ich fühle …
    Todessehnsucht, dachte er.
    Warum nicht? Gino Molinari hat aus seinem Tod ein I n strument der Politik gemacht; er hat seine Gegner damit überlistet, und er wird es vermutlich wieder tun. Natürlich, erkannte er, habe ich nicht etwas Derartiges im Sinn; ich muß niemanden überlisten. Viele Menschen werden infolge der Invasion ihr Leben verlieren: warum nicht einer mehr? Wem entsteht dadurch Schaden? Wen interessiert es schon? Er dachte: Diese zukünftigen Eric Sweetscents werden de s wegen vor Wut aufheulen, aber das ist mir egal. Mir können sie gestohlen bleiben. Und abgesehen davon, daß ihre Ex i stenz von meiner abhängt, denken sie genauso über mich. Vielleicht, sagte er sich, ist dies das Problem. Nicht mein Verhältnis zu Kathy, sondern mein Verhältnis zu mir selbst.
    Er verließ die Halle des Cäsar-Hotels und trat hinaus auf die von Hektik erfüllte, zehn Jahre in der Zukunft liegende Straße von Tijuana.
    Sonnenlicht blendete ihn; blinzelnd stand er da und g e wöhnte sich allmählich an die Helligkeit. Selbst hier hatten sich die Bodenfahrzeuge verändert. Sie waren gepflegter, attraktiver geworden. Inzwischen hatte man auch die Straße ausreichend asphaltiert. Und da waren auch die Essenve r käufer und die Teppichhändler, nur daß es jetzt keine Ro b ameisen waren; verblüfft stellte er fest, daß es sich um Riegs handelte. Offensichtlich befanden sie sich auf der untersten Stufe der irdischen Gesellschaft und würden sich die Gleichberechtigung erarbeiten müssen, deren Zeuge er in jener zukünftigen Welt geworden war, die einhundert Jahre nach seiner eigenen Zeit bestehen würde. Es erschien ihm nicht fair zu sein, aber so war es eben nun einmal.
    Die Hände in die Taschen vergraben, mischte er sich u n ter die Menge, die sich über die Bürgersteige von Tijuana wälzte, bis er bei der Apotheke ankam, in der er die Kapseln mit dem JJ-180 erworben hatte. Wie immer war sie geöffnet. Und auch sie hatte sich im Verlauf dieses Jahrzehnts nicht verändert, sah man davon ab, daß die Bandagen nicht mehr im Schaufenster lagen. Statt dessen entdeckte er einen App a rat, der ihm unbekannt war. Er blieb stehen und studierte die in Spanisch gehaltene Tafel, die dahinter stand. Offenbar erhöhte dieses Gerät die sexuelle Potenz, wenn er den Text richtig verstand. Ermöglichte unbegrenzte Orgasmen, die rasch hintereinander erfolgten. Amüsiert betrat er die Ap o theke und ging zum Ladentisch.
    Diesmal begrüßte ihn eine schwarzhaarige, ältliche Frau. » Si? « sagte sie und entblößte billige Chromzähne.
    »Führen Sie ein westdeutsches Mittel namens G-Totex blau? «
    »Ich werde nachsehen. Sie warten, ja? « Die Frau schlur f te davon und verschwand zwischen den Regalen mit den Pharmazeutika. »G-Totex blau sein schrecklich starkes Gift «, rief ihm die alte Frau zu. »Sie müssen sich in Buch eintragen; si ? «
    »Si «, stimmte Eric zu.
    Sie legte die schwarze Packung mit dem Gift vor sich auf den Ladentisch. »Zwei US-Dollar fünfzig «, sagte die alte Frau. Sie griff nach dem Kontrollbuch und reichte es ihm, damit er sich eintragen konnte. Während er unterschrieb, packte sie die schwarze Schachtel ein. »Sie wollen sich u m bringen, Señor ? « fragte sie plötzlich. »Nun, ich kann Señor versichern, daß Mittel sein vollkommen schmerzlos; ich h a be schon einmal beobachtet. Keine Schmerzen; nur Herz bleiben unvermittelt stehen. «
    »Ja «, nickte er. »Es ist ein gutes Mittel. «
    »Von A.G. Chemie. Sehr zuverlässig. « Sie strahlte ihn an.
    Er zahlte – seine zehn Jahre alten Scheine wurden a n standslos akzeptiert – und verließ die Apotheke mit seinem Päckchen. Unheimlich, dachte er. In Tijuana ist noch immer alles so, wie es einst war. Und immer sein wird. Selbst wenn man sich umbringen will, scheint sich keiner darum zu kümmern; ein Wunder, daß es keine Geschäfte gibt, die das für zehn Pesos erledigen. Doch vielleicht existieren sie i n zwischen sogar.
    Die Selbstverständlichkeit, mit der ihn die Frau bedient hatte, schockierte ihn ein wenig – und sie hatte absolut nichts von ihm gewußt, nicht einmal seinen Namen. Es liegt am Krieg, sagte er sich. Ich weiß gar nicht, warum ich mich
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