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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren
Autoren: Þráinn Bertelsson
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aus Feigheit oder Trägheit. Glücklicherweise ist ein unstetes Leben nicht die einzige Alternative; denn Launenhaftigkeit ist ebenso ruinös wie Routine. Gewohnheit ist notwendig; wenn man lebendig bleiben möchte, muss man die Gewohnheit, Gewohnheiten zu haben, sein Leben zu Alltagstrott werden zu lassen, bekämpfen.
    Edith Wharton,
›A Backward Glance‹

46
Ein schwarzes Notizbuch
    Das ausgedruckte Manuskript war 284 Seiten lang. Schriftlicher Scheiß über nichts und wieder nichts. Lästiges, belangloses Gefasel über Feminismus und darüber, wie abscheulich sich Männer seit Anbeginn der Zeitrechnung Frauen gegenüber verhalten haben. Er durchblätterte das Gewäsch desinteressiert und dachte, dass es nur ein Verbrechen gab, das Männer Frauen nicht angetan hatten, nämlich Mädchen anstatt Jungen in den Krieg zu schicken, aber dann erinnerte er sich an die Zeitungsfotos von der amerikanischen Soldatin mit dem splitternackten Iraker an der Leine. Wie hieß sie noch gleich? Linndie? Linndie England. Die Fotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad – sie hatten viele herzensgute Seelen schockiert, die Krieg lediglich für eine notwendige, aber nicht ganz unblutige medizinische Operation zur Ausmerzung von Geschwüren gehalten hatten. Gut, dass Weiber mittlerweile in den Krieg ziehen durften. Gut, dass die Gleichberechtigung ans Licht brachte, dass Frauen auch nicht besser waren als Männer, wenn nicht sogar grausamer.
    Die Interviews mit den beiden Frauen waren nicht ganz so schlimm wie diese theoretischen Betrachtungen der Autorin zur Rolle der Frau als Konsumgut in der modernen Gesellschaft. Es gab ein paar Highlights. Der größte Teil bestand jedoch aus todlangweiligem Gelaber, bei dem die Weiber sich selbst zutiefst bemitleideten, weil sie das Haltbarkeitsdatum überschritten hatten. Ihre Wut richtete sich gegen ihre Exmänner, die keinen Appetit mehr auf sie hatten, nachdem sie selbst einfach nicht mehr taufrisch waren.
    Das Gejammer dieser Frauen über ihr Gefühlsleben und ihre seelischen und körperlichen Nöte war vollkommen belanglos. Interessant war doch nur, was sie über die wirklich wichtigen Personen sagten: die Männer, mit denen sie verheiratet gewesen waren, ihr Leben und ihr Wirken – nicht irgendein Weibergejammer, sondern Ereignisse und Anekdoten aus dem Leben bedeutender Männer aus Politik und Wirtschaft. Das waren die Highlights.
    Kjartan A. Hansens Exfrau Svava entpuppte sich dabei als wesentlich ergiebigere Quelle als Brynhildur, die Ex von Magnús Mínus.
    Erst war er enttäuscht über Brynhildurs dürftige Beschreibungen ihres Exmannes. Natürlich interessierten sich die Leute viel mehr für Magnús Mínus als für Kjartan. Die Neugier auf den reichsten Mann Islands – und sogar der isländischen Geschichte – musste größer sein als auf einen ehemaligen Politiker, der wie ein Loser vom Schachbrett vertrieben worden war. Als Jökull Pétursson vorausgeahnt hatte, dass der Kronprinz immer ungeduldiger auf den Posten des Ministerpräsidenten wartete, hatte er Kjartan kurzerhand gekillt – politisch gesehen. Ein echter Kerl, dieser Jökull. Blieb hoffentlich bis an sein Lebensende Ministerpräsident. Der verlangte sicher demnächst, dass alle männlichen Kinder in Island ausgesetzt würden, damit er von den kommenden Generationen nichts befürchten musste.
    Eigentlich war es unverständlich, dass sich Kjartan A. Hansen erst nach so vielen Jahren des Zusammenlebens von dieser Svava getrennt hatte. Sie schien absolut unerträglich zu sein. Launisch, dumm und selbstsüchtig. Er hätte sich ihrer schon längst entledigen sollen. Aber vermutlich besaß er nicht die Charakterstärke, die einen mächtigen von einem unbedeutenden Mann unterscheidet, diesen Killerinstinkt, den man in der Politik braucht. Es war dumm zu glauben, in der Politik ginge es anders zu als in anderen Berufen. Jeder, der am Ende als Sieger dastehen will, braucht nun mal diesen Killerinstinkt. Der Mensch ist ein Raubtier. Mildtätigkeit ist eine Illusion, die die Weiber im Küchenmief eingeatmet haben.
    Und Svava war sentimental. Krallte sich an das Wort Liebe wie eine läufige Hündin. Aber es war, wie es war: Das Kostbarste versteckte sich meist im Abfall. Man musste einfach genauer hinschauen:
    Ihre Schilderungen von Kjartans und Jökulls nächtlichen Besäufnissen, als noch alles nach Wunsch lief, waren großartig. Kjartan hatte die Rolle des Lehrlings übernommen, und die Gehässigkeiten der beiden kannten
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