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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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würde ich alles verpassen. Dabei war es ein so großer und aufregender Tag. Seit Wochen hatte sich jeder, der zur Abtei gehörte, darauf vorbereitet. Das galt für die Bauern mit eigenem Land ebenso wie für die Hintersassen ohne eigenen Besitz. Auch die Konversen, die Einsiedlermönche, waren nach und nach aus ihren Zellen im Wald herbeigeeilt. Wenn der Gönner und Freund der Abtei, der große Rudolf von Rheinfelden, der mächtige und reiche Herzog von Schwaben, St. Blasien besuchte, dann war das stets ein denkwürdiges Ereignis für die Brüder, das über Monate Gesprächsstoff lieferte. An diesem Tag kam er zudem als strahlender Held, als Sieger der Schlacht um die aufrührerische Stadt Genf. Und er wurde nicht nur begleitet vom Bischof von Basel, sondern zum ersten Mal auch von seiner jungen Gemahlin Adelheid.
    Wahrscheinlich war ich an diesem Tag nicht der einzige in unserer klösterlichen Gemeinschaft, den die Aussicht auf den Anblick der Gemahlin Rudolfs mindestens ebenso sehr in freudige Erwartung versetzte wie die Weihe der neuen Kapelle des heiligen Michael. Die Nachricht vom Liebreiz und der stillen Würde der zweiten Gemahlin des Herzogs war auch bis in die Abgeschiedenheit unserer Abtei gedrungen. Ebenso die Botschaft, dass sie trotz Rudolfs langer Abwesenheit durch den Burgundfeldzug gegen seinen Schwager Gerold von Genf in diesem Sommer gesegneten Leibes sein sollte, gerade ein Jahr nach ihrer Vermählung. Nicht nur Abt Warinharius war sehr enttäuscht darüber gewesen, das der Herzog es vorgezogen hatte, am Hofe des jungen Königs Heinrich zu heiraten und nicht bei ihm in St. Blasien.
    Glücklicherweise bemerkte Abt Warinharius nicht, was hinter seinem Rücken vorging. Ich versprach dem leidenden Sohn Gottes am Kreuz noch schnell, dass ich die Sünde des Ungehorsams demütig beichten würde. Doch jetzt hätten mich auch keine zehn Pferde mehr im Gotteshaus oder in der neuen Michaelskapelle halten können, mochte sie auch noch so prachtvoll sein. Ich stürzte also ebenfalls aus der Kirche, so schnell ich es mit meinen kurzen, krummen Beinen vermochte, und reihte mich in die laut jubelnden Bauern und Hintersassen ein. Dabei dankte ich dem Allmächtigen ausnahmsweise dafür, dass er mich nicht größer hatte werden lassen. So konnte ich mich in den Reihen der Wartenden viel besser verbergen. Mein schmerzendes rechtes Ohr hätte es jedenfalls nicht ausgehalten, noch einmal langgezogen zu werden.
    Herzog Rudolf, der Eroberer der reichen und rebellischen Stadt Genf, ritt voran. Er saß auf einem prächtigen braunen Ross. Sein Mantel war reich mit Pelz verziert, ebenso wie jener des Bischofs Beringer von Basel, dessen Schwarzbrauner zur Rechten Rudolfs trabte. Ich betrachtete den stattlichen Herzog neugierig, denn allzu oft hatte ich unseren weltlichen Beschützer noch nicht zu Gesicht bekommen. Trotz seiner unbestreitbar stolzen Haltung wirkte er eigentlich nicht wie einer der Großen des Reiches, nicht wie der hochgeehrte Schwager des jungen Königs Heinrich. Herzog Rudolf war in früherer Ehe mit Mathilde, der Schwester Heinrichs W., vermählt gewesen. Die Kaisertochter war aber vor drei Jahren noch sehr jung und unglücklich gestorben.
    Nun ritt er hier in den Hof unserer bescheidenen Abtei, ein großer, etwas beleibter Fürst, dessen beste Mannesjahre sich ihrem Ende zuneigten. Die vielen Schlachten hatten tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Dann folgte seine junge Gemahlin, deren hoher Leib sich unter einem schweren, ebenfalls pelzbesetzten roten Mantel wölbte. Eine prächtige juwelengeschmückte Fibel hielt den Mantel zusammen.
    Adelheid von Schwaben stammte aus einer der edelsten Familien des Piemont. Sie war die Tochter der Gräfin Adelheid von Turin und des Grafen Otto von Savoyen. Ich verfiel ihr auf den ersten Blick mit Leib und Seele. Sie war eine jener Frauen, deren Liebreiz einem Mann nicht wie der Strahl der gleißenden Mittagssonne ins Herz sticht und ihn bis zur Dummheit blendet. Ihre wahre Schönheit leuchtete erst wie das warme Licht eines Feuers in einer eisigen Winternacht auf; wenn sie lächelte. Sie hatte ein Lächeln, das direkt aus dem Herzen bis in ihre Augen zu dringen schien. Jeder, den sie damit bedachte, fühlte sich warm und geborgen.
    Nur einer, ihr um sehr viele Jahre älterer Gemahl, benötigte noch lange Jahre, um ihre wahre Schönheit zu erkennen. Für ihn bestand ihr Wert nur in ihrem jungen Leib, der ihm Erben gebären sollte. Und darin, dass sie die Schwester von
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