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0910 - Der Totflüsterer

0910 - Der Totflüsterer

Titel: 0910 - Der Totflüsterer
Autoren: Oliver Fröhlich
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Der Glanz der Kunstsammlung, die Edouard Pereire für einen lächerlichen Preis hatte ersteigern können, blendete sicher nur sachverständige Betrachter. Der Freund durchschnittlicher, massentauglicher Allerweltskunst erkannte vermutlich nicht einmal ein Schimmern.
    Skulpturen, von denen man erst nach stundenlangem Studium vermuten konnte, was sie darstellen sollten. Gemälde, die ihren Reiz nicht jedem dahergelaufenen Möchtegern-Kunstkenner preisgaben, aber denjenigen reich belohnten, der gewillt war, tiefer zu blicken.
    Es gab nicht viele Menschen, die mit dieser Art von Kunst etwas anfangen konnten. Edouard Pereire war einer von ihnen. Leider hatte auch Clement Luynes zu ihnen gezählt.
    Clement Luynes, Pereires Konkurrent seit gemeinsamen Studientagen.
    Es hatte mit Kleinigkeiten angefangen, damals vor vielen Jahren.
    Fanden sie beide dasselbe Mädchen toll, wer hatte es dann bekommen?
    Clement!
    Pereire hatte gelernt wie ein Verrückter. Wer hatte trotzdem die besseren Noten?
    Clement Luynes!
    Jahre später hatte Pereire eine Firma gegründet. Wer war da plötzlich mit einem Patent für spezielle Kugellager auf den Markt gekommen und hatte ihm die lukrativsten Kunden vor der Nase weggeschnappt?
    Natürlich! Clement Luynes! Und dann hatte er noch nicht einmal genügend Nationalstolz besessen, seinem Geschäft einen französischen Namen zu geben. Oh nein, Luynes Ball Bearing hatte er es getauft!
    Auch Pereire hatte gut verdient, ohne Zweifel. Aber einem Clement Luynes hatte er nie das Wasser reichen können.
    Doch damit nicht genug! Als Edouard Pereire seine Liebe zur Kunst entdeckte, war es wieder sein Konkurrent - ach was! Als er die Kunst für sich entdeckte, war es wieder sein Erzfeind gewesen, der sich die begehrenswertesten Stücke unter den Nagel riss.
    Pereire stieß ein Lachen aus!
    Was hatte Clement nun davon? Nichts, gar nichts!
    Er lag seit ein paar Wochen unter der Erde und verfaulte bereits munter vor sich hin. Pereire hatte nie herausgefunden, was genau geschehen war, aber Gerüchten zufolge hatte ein Einbrecher Luynes mit einem seiner Objekte erschlagen. Einem Kelch [1] ! Tja, Ironie des Schicksals!
    Und damit war der Niedergang noch nicht beendet! So war es ein Wunder, dass nicht eine Reihe von Erdbeben den Friedhof von Lyon durchschüttelte, denn Clement Luynes hätte im Grab rotieren müssen, so wie sein Sohn Roger die Geschäfte führte.
    Innerhalb von nicht einmal zwei Monaten hatte er es geschafft, Luynes Ball Bearing an den Rand der Zahlungsunfähigkeit zu bringen! Sinnlosinvestitionen mit riesigen Vorauszahlungen, übermäßige Entnahmen zur Finanzierung privater Luxusspinnereien - und die flüssigen Mittel schmolzen dahin wie ein Eiswürfel knapp über der Sonnenoberfläche.
    Roger Luynes konnte gerade noch die Notbremse ziehen und versilberte das, worauf er selbst am ehesten verzichten konnte: die Kunstsammlung seines Vaters. Weil diese aber recht speziell war, brachte sie nicht annähernd so viel ein, wie Luynes sich erhofft hatte.
    Wie gerne hätte er Luynes beobachtet, als der erfuhr, dass gerade mal ein einziger Bieter bei der Versteigerung Interesse an der Kunstsammlung gezeigt hatte. Insider hatten berichtet, ihm sei förmlich das Gesicht eingeschlafen. Wie mochte es da erst ausgesehen haben, als er den Namen dieses Bieters hörte?
    Zufrieden mit sich und der Welt verschränkte Pereire die Arme vor der Brust und betrachtete die Objekte, für die er sogar das Gästezimmer seines Hauses geräumt hatte.
    Natürlich hatte er Luynes mit dem Ersteigern der einzigartigen Gegenstände eine kurzfristige Finanzspritze gegeben, aber er war sich sicher, dass dies den Patienten nicht lange auf den Beinen halten würde. Inzwischen versuchte Luynes angeblich auch, seine Villa zu verkaufen. Aber selbst dieser Erlös - wenn er es denn überhaupt schaffte, den Protzbau zu versilbern! - würde ihn nicht lange sanieren. Mit einem ausgewogenen Verhältnis aus Geschäftsuntüchtigkeit und Geltungsbedürfnis schaufelte Luynes bestimmt bald das Grab für die Firma und das restliche Erbe seines Vaters!
    Und er, Pereire, würde auf der Beerdigung singen und tanzen!
    Die Luft in dem zur Ausstellungshalle umfunktionierten Gästezimmer war kühl und trocken. Dafür sorgte eine Klimaanlage, die seit ein paar Tagen ihren Dienst verrichtete.
    Seine Frau Elisabeth hatte sich fürchterlich darüber aufgeregt, dass sie mit ihrem Wunsch nach einer Klimaanlage jahrelang auf taube Ohren gestoßen war. Sie hatte ihm
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