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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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jähen Anfall von Wut stürzte sich der Kleine auf das Kind und packte es am Hals, um es zu erwürgen.
    Doch der Große gebot ihm Einhalt. »Wollt Ihr Euch an einem wehrlosen Kind vergreifen, nur weil ich Euch die Waffe nicht gebe? Unser Herr Rudolf von Rheinfelden wird sich vielleicht über ein lebendes Geschenk freuen. Schließlich muss er seine kleine Künftige bei Laune halten. Sie soll bald in sein Bett. Mathilde, die Schwester König Heinrichs IV., hat schon genügend Hündchen und plärrt trotzdem noch immer vor Sehnsucht nach ihrer Mutter Agnes von Burgund, der Kaiserinwitwe. Nun ja, sie ist zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig in der Burg auf dem Stein. Dabei wird sie gut gehalten im Haus des Rheinfeldens. Doch so sind sie eben, die Weibsbilder. Unser Herr Rudolf wird schon gewusst haben, warum er seine Verlobte mit Waffengewalt entführte, direkt aus der klösterlichen Obhut des Bischofs Rumold von Konstanz.«
    »Hei, das hat einen schönen Aufstand unter den Fürsten gegeben«, fügte der Kleine gackernd hinzu. »Schließlich hat ihm die Kaisertochter das Herzogtum Schwaben und die Verwaltung von Burgund eingebracht. Da wäre mancher gern an seiner Stelle.«
    Der Große lachte ebenfalls. »Die wilde Leidenschaft wird's wohl nicht gewesen sein, bei einer Zehnjährigen. Unser Herr Rudolf bevorzugt dralle jungfräuliche Bauerndirnen. Wie man hört, hat er auch noch mehrere Kebsweiber auf seiner Burg im Rhein. Doch Agnes konnte nach der dreisten Entführung trotzdem nicht mehr anders, als dem Rheinfelder ihre Tochter zu lassen. Mathilde war ihm ja ohnehin versprochen. Außerdem hängt ihr ihr Sohn, unser fünfjähriger König Heinrich IV., auch noch am Rockzipfel. Aber ehelichen darf Rudolf die Kaisertochter nach dem Willen der Regentin erst, wenn sie vierzehn wird. Bringen wir ihr das Kind: Für uns wird eine Belohnung dabei herausspringen, und sie sieht dann gleich, was dabei herauskommt, wenn unser Herr sie besteigt.«
    Wieder gackerte der Kleine. Ein Speichelfaden troff aus seinem Mund. Das schlüpfrige Thema schien ihn so zu ergötzen, dass er fast das Schwert vergaß. »Einen gar köstlichen Happen hat unser Herr von Rheinfelden da erbeutet. Vielleicht ein wenig schmalbrüstig, aber die Hüften sind jetzt schon eine Verheißung. Außerdem wird Rudolf durch sie zum Schwager des unmündigen Königs Heinrich IV. Eine solche Verwandtschaft berechtigt zu Hoffnung auf reiche Pfründe und Ehren. Ihr habt recht, Kamerad, vielleicht möchte ein reicher und mächtiger Herr sich für solch ein Geschenk dankbar erweisen. «
    Der Große betrachtete den Jungen, der sich schreiend in den Armen des Kleinen wand, mit einem abschätzigen Blick. »Er stinkt und ist dreckig. Wir werden ihn wohl ein wenig herrichten müssen.«
    »Außerdem scheint er ein teuflisches Temperament zu haben«, keuchte der Kleine, der alle Mühe hatte, den Jungen zu bändigen. »Wenn der Hosenscheißer der Kaisertochter Mathilde einfach wegläuft, könnte es uns übel ausgelegt werden.«
    Der Große lachte dröhnend. »Nun, dann wollen wir ihm die Beine stutzen wie einem Vogel die Flügel. Komm, mein Freund, hilf mir. «
    Mit diesen Worten gingen die beiden Männer mit dem brüllenden Jungen vor die Hütte. Der Große packte ihn und drückte ihn mit seinen Pratzen auf den Waldboden. Das Geschrei des Kindes verwandelte sich in das Kreischen eines Tieres in Todesangst.
    Als wieder Stille eingekehrt war, als die Stimmen des Großen und des Kleinen schließlich verklungen waren, begannen die Vögel erneut mit ihrem Gesang. Auch der Wind in den Bäumen war wieder zu hören. Nur ein toter Mann und eine tote Frau kündeten noch von den Geschehnissen in der einsamen Köhlerhütte.

 
     
    Blinder Menschengeist, der nur auf das Nächstliegende blickt,
    wieviel Übel könntest du vermeiden,
    wüßtest du in Kenntnis der Zukunft zu leben.
     
    Carmen de bello Saxonico
     
     
    D as Lied vom Sachsenkrieg ist nun vollendet. Pergament liegt auf Pergament hier neben mir, sorgsam gestapelt und eng beschrieben. Morgen werde ich sie ins Scriptorium des Klosters St. Blasien bringen. Vielleicht findet sich dort ein Platz im Archiv, damit die Nachwelt erfährt, warum Rudolf von Rheinfelden einst für die Sachsen in den Krieg zog. Es ist mein Gedicht auf ein starkes, eigensinniges Volk und auf zwei Könige, die einander bis aufs Blut bekämpften. Die drei Bücher und ihre siebenhundertsiebenundfünfzig Hexameter erzählen von unendlichem Leid, großer Tapferkeit,
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