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Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Autoren: Anke Bracht
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IM JAHRE DES HERRN 1497
    A m Ende des Pinienwaldes wurde die Ebene weit, und sanfte Hügel bestimmten die Landschaft, zunächst aus schwarzer fetter Erde, dann aus feinem weichem Sand. Hinter der Düne war das Meer. Ganz nah kam der Gesang der Wellen; sie hörten das Wasser, wie es sich an den vorgelagerten Gesteinsbrocken brach. Vögel stoben auf, kreisten über der Ebene. Sie hob die Hand gegen die Sonne und erkannte, dass es Kraniche waren. Von der Schönheit des Augenblicks berührt atmete sie tief aus. Ihr Geliebter empfand genauso. Sie musste ihn nicht anblicken, um das zu wissen. Seine Hand lag in ihrem Nacken. Sie wandte sich ihm zu und lächelte. Die Luft war heiß, und der Wind ließ die Blätter der uralten Olivenbäume in silbrigem Schimmer vibrieren. Ein Geräusch aus den Zweigen. Sie regten sich nicht. Lagen im Gras hinter den Dünen, sahen einander an. Ihre Augen sagten sich alles. Versprachen sich alles. Und beide wussten, sie würden ihre Versprechen halten. Jenseits von Schicksal und Zeit.
    Ihr Gefährte setzte sich auf und nahm ihre Hand, hielt sie einen Moment lang ganz fest. Dann erhob er sich, wie einer plötzlichen Eingebung gehorchend, und sie folgte ihm über die Dünen zum Strand. Die Sonne stand schon tief, und der kühle Wind, den das Meer nun mit sich brachte, ließ den Herbst erahnen. Sie zog ihre Schuhe aus – zierliche kalbslederne Florentiner Schläppchen – und warf sie von sich. Ihre Augen blitzten ihn an, dann lief sie jauchzend wie ein Kind der Brandung entgegen und blieb im ersten Wellenschaum stehen, um das Wasser zu betrachten, wie es zwischen ihren Zehen perlte und sich dann wieder zurückzog, kraftvoll, kühl, seinen eigenen Gesetzen folgend. Mare Tirreno. Tyrrhenisches Meer. Für sie war der Küstenstreifen der Cala di Forno der schönste Platz auf der ganzen Welt. Hier, nahe der Grenze zum Latium, verloren sich feinsandige Strände in weichen runden Bögen unter hellgrünen Wellen. Hinter den Dünen erhoben sich schroffe, steile Felsen, die Bergkämme der Monti dell’Uccellina, auf denen die Türme kühner Burganlagen hochmütig dem Himmel entgegenstrebten. Und darunter, an den Hügeln, die Olivenhaine. Wie ein aus Silberfäden gewirktes, fein wisperndes Meer an lebendigem Grün ergossen sich die Blätter der jahrhundertealten Bäume über die Hänge und wichen endlich, zur Ebene hin, den stark duftenden Pinien, in deren Schatten Wildschweine und Dachse den Boden nach den nahrhaften Samen der Zapfen absuchten. So viele Tiere hatte sie hier schon beobachtet. Zarte Rehe. Damwild. Greifvögel. Und dann gab es die wilden Pferde. Sie hatte sie noch niemals erblickt, aber oft genug ihre Gegenwart gespürt, Fabelwesen gleich lebten sie im Schutz des Waldes, und nur den Butteri gelang es, einzelne von ihnen aus den Schatten der Pinien hervorzulocken und zu zähmen. Sie, diese eingeschworene Gemeinschaft der maremmanischen Viehhüter, tief in den Gebräuchen ihrer toskanischen Heimat verwurzelt, schienen Wanderer zwischen den Welten zu sein, verstanden sie doch die Sprache dieser herrlichen Tiere und konnten aus einem Wildpferd in drei Sommern ein folgsames Ross formen. Einer der Ältesten hatte ihr einmal erzählt, es sei möglich, ein wildes Pferd gehorsam zu machen, ohne seinen Willen zu brechen.
    »Es ist wie bei einem Menschen«, hatte er mit vor Hingabe bebender Stimme gesagt. »Du musst Zeit haben, du musst Geduld haben, und du musst Liebe geben. Und du wirst sehen – es kommt alles zurück. Alles kommt zu dir zurück.«
    Er hatte mit seinem Hirtenstab aufgestampft, zweimal, wie um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, und sie glaubte ihm. Nein, sie wusste, dieser einfache Mann sprach die Wahrheit. Und sie spürte Zuversicht, als sie sich an seine Worte erinnerte. Das Edle in einem Wesen war immer gegenwärtig, wenn auch zuweilen verborgen. Irgendwann kam der Moment, und es wurde sichtbar. Bei einem wilden Maremmenpferd genauso wie … sie wollte nicht daran denken. Nicht jetzt. Sie vertraute auf einen gnädigen Gott, er würde ihnen beistehen. Mit einem Ruck drehte sie sich um und ging ihrem Geliebten entgegen; er stand dort, wo sie ihn vermutet hatte, und lächelte ihr zu. Sie beschleunigte ihren Schritt, doch ihre kostbar bestickten Röcke hatten sich mit Meerwasser vollgesogen und hingen nun schwer und hinderlich an ihr herab. Sie raffte die Stoffe bis zu den Knien hoch, natürlich schickte sich das nicht, aber wenn einer sie so sehen durfte, dann er, ihr Gefährte für
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