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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma
Autoren: Jasmin P. Meranius
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Kenia? Ich könnte es sicher nachsehen. Ich hatte damals einen Prospekt bekommen, wo Ort und Name des Kindes angegeben waren“, antwortete sie, unangenehm berührt, dass sie die Fragen nicht genauer beantworten konnte.
    „Ich hatte ehrlich gesagt auch nicht erwartet, dass dudas weißt“, sagte Didier und grinste. „Denn die meisten können es nicht. Sie spenden nicht um der Kinder willen, sondern um ihretwillen. Aber das ist leider der Charakter der heutigen Gesellschaft. Wir tun nur noch das, was wir tun müssen und was die Gesellschaft von uns verlangt, nicht wahr? Wie diese Grünschnäbel, die für ein paar Monate bei mir in der Organisation im Ausland in einem Praktikum helfen wollen. Da frage ich mich jedes Mal, ob die nicht nur einen bescheinigten Auslandsaufenthalt für ihren Lebenslauf brauchen. Den benötigt man doch heutzutage, um in der Wirtschaft etwas zu werden, nicht wahr?“, fragte Didier jetzt mit schärferem Unterton.
    Und Beata spürte, dass das Wortgefecht eröffnet war.
    „Ich bin aus der Wirtschaft“, erklärte Beata, „und sicherlich trifft das ein Stück weit zu, ja.“
    „Die Bezwingung der Natur“, fuhr Didier scharf fort, „der materielle Überschuss und das unendliche Streben nach der persönlichen Freiheit als große Selbstverwirklichung waren schon für Maslow die Spitze der Bedürfnispyramide. Habe ich das als Nichtökonom richtig zusammenfasst?“, fragte Didier nun sogar mit einem Anflug von Spott in der Stimme.
    Er ließ Beata jedoch keine Möglichkeit, darauf zu antworten, sondern sprach direkt weiter.
    „Aber das ist wohl eher dein Gebiet. Du bist schließlich aus der Wirtschaft und wirst Maslow besser kennen als ich. Und auch das Bedürfnis nach der Selbstverwirklichung. Du bist schließlich das, was die Wirtschaftsich geformt hat. Wurdest dazu erzogen, nach mehr zu streben. Ich hingegen tauche in dieser Wirtschaftswelt schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr auf. Ich bin die Kehrseite der Medaille. Der erfolglose Gesellschaftscharakter, der es in der Bedürfnispyramide nicht allzu weit nach oben geschafft hat. Nach euren Gesichtspunkten habe ich wohl versagt.
    Doch mal im Ernst, liebe Beata, bin ich in meiner geistigen Freiheit, in der Meditation nicht viel freier und näher an der Selbstverwirklichung als du, eine Marionette deiner Wirtschaftsgesellschaft?
    Und trotzdem soll ich weiterhin das schwächste Glied in der langen Kette sein? Unumkehrbar, wegen wirtschaftlicher Prozesse und Geflechte, durch die sowieso keiner mehr wirklich durchblickt und denen man sich kritiklos zu fügen hat, da sie einen sonst überrennen?
    Nennst du das Freiheit oder gar Selbstverwirklichung?
    Nennt das Maslow Selbstverwirklichung?“
    Er seufzte gekünstelt und sah Beata an, als rechne er nach seiner kleinen Überzeugungsrede nun mit tobendem Applaus von ihr.
    „Die Globalisierung, die Sie soeben angedeutet haben, Didier, hat nicht nur Nachteile“, verteidigte Beata instinktiv, ohne zu wissen, weshalb.
    Doch mehr konnte sie sowieso nicht dazu sagen.
    Didier hatte längst schon wieder das Wort ergriffen.
    „Weißt du, Beata, als die menschliche Kraft durch die Kraft der Maschine ersetzt wurde - und letztlich der menschliche Verstand durch den Computer - ging unsetwas verloren. Etwas, was heute vielleicht von manch einem als antik bezeichnet wird. Und zwar Normen und Werte. Die besitzen Computer nämlich nicht. Es wurden Normen und Werte durch neuzeitige, wirtschaftsgesellschaftliche Werte ersetzt. Und es ist uns nur eine schmalspurige Wirtschaftsmoral geblieben.“
    „Denn überall dort, wo Wirtschaftlichkeit gefragt ist, hat Moral keine Chance?“, ergänzte Beata fragend und lehnte sich nun ebenfalls zurück. Und fügte ihren Worten nun bewusst nichts mehr hinzu.
    Stattdessen schenkte sie sich Wein nach.
    Dieser Mann war zwar eindeutig etwas extrem in seinen Ansichten, aber er schien tatsächlich die Kehrseite der Medaille zu sein. Ihrer Medaille.
    Er war noch nicht zu solch einer Maschine mutiert, wie ihr es wohl im Laufe der Jahre ergangen war, und lebte auch nicht mehr in der schwarzen Wirtschaftswelt.
    Wo auch immer er lebte, es musste ein Ort sein, an dem es viel von dem gab, was Beata nicht hatte.
    Sie redeten noch bis spät in die Nacht hinein und hätten sich sicherlich noch bis zum Sonnenaufgang unterhalten können.
    An Gesprächsstoff mangelte es Didier schließlich nie.
    Doch der Wein zeigte längst seine Wirkung, und um vor dem Morgengrauen wenigstens noch ein paar
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