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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma
Autoren: Jasmin P. Meranius
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Recht schnell kam sie in den Genuss, nur noch nach unten treten zu dürfen, ohne selbst von oben getreten zu werden.
    Sie stoppte ihre Gedanken an dem Punkt, als sie sich die Frage stellen musste, wie ihr Leben einmal im hohen Alter, als pflegebedürftige Alleinstehende, aussehen würde. Und sie war froh, dass nun Mittagspause war und sie die Zeit nutzen konnte, um ihren Kopf für einen Moment abzuschalten.
    ***

Nach der Mittagspause sprachen sie im Kurs über Stressbewältigungsmethoden und über Zeitmanagement.
    Beata nahm sich bei diesen beiden Themen bewusst zurück, denn sie wäre ein schlechtes Vorbild gewesen, wenn sie erzählt hätte, dass ihr Arbeitstag in der Regel erst nach dreizehn Stunden Stress und Reizung zu Ende ging.
    Die Zeit neigte sich dem Ende zu, der Workshop verging wirklich wie im Flug. Er hatte den einen oder anderen Gedanken angestoßen, den es nun im Nachgang zu ordnen und vor allem umzusetzen galt.
    „Bringt eure verschiedenen Lebensbereiche in Einklang und verabschiedet euch von Störfaktoren, um eure Prioritäten neu zu setzen. Vielleicht schreibt ihr einen Brief ohne Empfänger, in dem ihr eure Prioritäten wie ein Regelwerk festhaltet.“
    Beata war jetzt im Nachhinein froh, dass sie an dem Kurs teilgenommen hatte, und hielt die Empfehlung, einen Brief ohne Empfänger zu schreiben, für eine ganz gute Idee. Zielformulierungen mussten schließlich aufgeschrieben werden, um sie nicht immer wieder aus den Augen zu verlieren.
    Sie blieb nach dem Kursende noch eine Weile sitzen und hörte der kleinen Gesprächsrunde zu, die sich im Anschluss spontan gebildet hatte.
    Didier redete, allen voran, angeregt über das Glück im Leben. Er schien völlig in seinem Element zu sein.
    Einen Brief ohne Empfänger, als eine Art Agenda fürdas neue Jahr, dachte Beata. Es war ihr schon öfter vorgekommen, dass sie an einem gewissen Punkt im Leben erst einmal von der Bühne gehen musste, um sich vom Publikum aus einen objektiven Eindruck von der Situation zu verschaffen und wieder durch einen Perspektivenwechsel beurteilen zu können, wo sie überhaupt stand.
    Wenn sie schreiben würde, hätte das vielleicht eine ähnliche Wirkung.
    Eine weitere Person betrat den mittlerweile halb leeren Seminarraum.
    Beata erschrak schon nicht mehr beim Anblick der Dürren, da sich irgendwie etwas verändert hatte. Als liefere sie ihr gar nicht mehr so viel Angriffsfläche wie die vielen Male zuvor.
    Und als ob das auch die Dürre zu spüren schien, lief sie wortlos an ihr vorbei. Ihre Blicke trafen sich hierbei nur flüchtig.
    ***

Am Abend verzichtete Beata auf ihr Abendessen und ihren allabendlichen Spaziergang. Sie saß stattdessen an dem kleinen Schreibtisch in ihrem Zimmer und versuchte zu schreiben.
    Sie hatte Papier und Stift vor sich liegen und nahm einen Schluck Wein, den sie sich wieder einmal aus der Küche besorgt hatte. Diesmal jedoch, indem sie höflich danach gefragt hatte.
    Wie würde sie ihren Brief ohne Empfänger anfangen?
    Welchen Titel sollte er bekommen?
    Agenda? Würde ihm das gerecht werden?
    Nach langem Überlegen ließ sie ihn vorerst einfach weg. Sie würde ihn irgendwann später nachtragen und begann, einfach drauflos zu schreiben, wie es ihr so gerade in den Sinn kam.
    Ich schreibe diesen Brief ohne Empfänger, um aus meinem Wachkoma aufzuwachen und das eine oder andere für mich im Leben publik zu machen. Neues zu manifestieren. Denn ich habe hohe Erwartungen an das Leben. An mein Leben.
    Hier schreibt eine Frau, die gerade die Mitte des Berges erklommen hat und sich auf die zweite Hälfte besser vorbereiten wird. Es wird die letzte zweite Hälfte im Leben sein. Meine letzte Hälfte.
    Ich werde in meinem Leben nichts mehr einfach so dem Zufall überlassen.
    Ich selbst werde steuern. Das Leben auf meine Mitte ausrichten. Ich habe schließlich Erwartungen an mein Leben. Und manifestiere sie so, dass ich sie nie mehr aufgeben werde. Ich schaffe wieder Lebensqualität. Zeit ist hierbei der Schlüssel.
    Durch mehr Zeit werde ich mein Inneres wieder hören. Es nicht mehr überdecken oder überhören, wie einst bis zur gnadenlosen Erschöpfung. Zeit – sie ist ein zu knappes Gut im ach so kurzen Leben. Und sie kommt nicht wieder.
    Ich werde wieder leben. Die Regeln der Kunst des Lebens neu erlernen. Von Beginn an. Altes, Verworfenes wieder aktivieren und neue Pinselstriche im großen Bild malen.
    Ich werde wieder vertrauen. Nicht wie einst, nur auf mein eigenes Bild, sondern auch auf das Bild
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