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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma
Autoren: Jasmin P. Meranius
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Stunden Schlaf zu haben, beschlossen sie, ihre Unterhaltung ein anderes Mal fortzusetzen.
    Didier würde ihr dann etwas über Mythen und Sagen der Afrikaner und deren Normen- und Werteverständnis erzählen. Dem würden die Europäer laut seiner Aussage noch in einigem nachstehen.
    Beata wusste zwar nicht, ob es allein am Wein lag, aber irgendwie wurde sie den Eindruck nicht los, dass Didier sich ein wenig für ihr Seelenheil verantwortlich fühlte.
    Wann hatte sich eigentlich das letzte Mal jemand für sie verantwortlich gefühlt, fragte sich Beata, während sie alleine den Korridor entlang zu ihrem Zimmer lief.
    Sie erinnerte sich nicht.
    Vielleicht, als ihre Mutter sich wieder einmal darüber ausließ, dass sie zu viel arbeite?
    Vielleicht war es aber auch nur die schlechte Erreichbarkeit, die ihre Mutter bekümmerte.
    Oder die Typen, die sie ab und an in Frankfurter In-Bars traf. Wenn sie darauf bestand, sich ein Taxi zu nehmen, statt sich von ihnen fahren zu lassen, versuchten die Typen immer, den verantwortungsvollen Beschützer zu spielen und bestanden förmlich darauf, sie nach Hause zu begleiten.
    Doch auch diesen Gedanken verwarf sie gleich wieder und ersparte es sich, über deren tatsächliche Absichten zu philosophieren.
    ***

Als Beata kurze Zeit später in ihrem Bett lag, kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um Yoga, die Moral des Menschen und um Männer in Bars.
    Der Wein zeigte nun das ganze, dunkle Ausmaß seiner Wirkung. Und Didier hatte nicht ganz unrecht mit dem, was er sagte, dachte sie.
    Die Moral, die sie als Kind hatte, von Eltern und Großeltern, zählte heute tatsächlich nicht mehr. Zumindest nicht in Beatas Welt. Der Welt der Wirtschaft.
    Niemand hielt im Leben noch seine andere Wange hin, wenn er zuvor schon eine draufbekommen hatte. Das war ja beruflicher Selbstmord.
    Und niemand zeigte Respekt vor dem Alter. Im Gegenteil. Im Berufsleben war das Alter vielmehr eine tickende Zeitbombe, die es rechtzeitig zu beseitigen galt.
    In ihrer Wirtschaftsgesellschaft war die größte Norm das Karrierestreben.
    Arbeiten, fleißig und ehrgeizig sein, auch in einem Durchschnittsjob. Selbst ohne Aussicht nach oben musste man einhundertzehn Prozent für den Job geben, Karriere machen, um anerkannt zu werden.
    Früher, zu Großvaters Zeiten, hatte man Jobs, um die Familie zu ernähren.
    Heute hatte Beata nur noch einen Job und keine Familie und würde mit spätestens fünfzig Jahren entlassen werden. Man war im Alter eben nichts mehr wert. Eine weitere Norm der Wirtschaftsgesellschaft.
    Und nicht nur, dass man als Arbeitsloser plötzlich kein Mitglied des Wirtschaftslebens mehr war und es auchnicht mehr so leicht würde, man endete auch gleichzeitig als Gesellschaftsloser. Denn Zeit für ein Privatleben hatte man nie gehabt.
    Beata fragte sich ernsthaft, ob ihr Beruf all die Opfer wert war. Ob auch sie ab fünfzig, ohne die Firma, wirklich kein Leben mehr haben würde.
    Beata musste schlucken.
    Der Wein stieß ihr auf und der Gedanke machte ihr Angst. Schließlich liebte sie ihren Job. Liebte ihre Firma und ihren Alltag, in guten wie in schlechten Zeiten.
    Dennoch war sie ein genauso kleines Rädchen wie all die anderen. Ein so verdammt kleines Rädchen im großen Rad der Abteilung, des Unternehmens, der Wirtschaftsgesellschaft. Doch wieso glaubte sie bloß immer, so unentbehrlich für die Wirtschaftsgesellschaft zu sein?
    Beata wusste es heute nicht mehr. Sie würde aber auch in dieser Nacht keine Antwort mehr darauf finden und versuchte zu schlafen. Schließlich ging mittlerweile schon die Sonne auf und sie wusste, dass das junge Mädchen, das einst so gerne schrieb, verdammt noch mal mehr von seinem Leben erwartet hatte.
    ***

Beata erwachte nur wenige Stunden später. Es war bereits mitten am Tag. Ihr Hals war völlig ausgetrocknet und noch immer hatte sie diesen sauren Weingeschmack im Mund. Zudem hatte sie unerträgliche Kopfschmerzen.
    Wieso konnte man mit zunehmendem Alter nicht mehr so über die Stränge schlagen? So alt, wie sie sich in diesem Augenblick gerade fühlte, war sie doch noch gar nicht. Da fiel ihr auch schon wieder ein, dass sie ohnehin bloß eine tickende Zeitbombe war. Ein Auslaufmodell, welches altersbedingt sowieso in Kürze kein Leben mehr haben würde, in dem es noch einmal die Gelegenheit geben würde, in netter Gesellschaft über die Stränge zu schlagen.
    Kaum war Beata unter die Dusche gestiegen, klopfte es an ihrer Zimmertür. Hastig stieg sie wieder aus der Dusche
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