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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma
Autoren: Jasmin P. Meranius
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Mittelchen benötigte, um dem Berufsstress standzuhalten. Siemachte den Job einfach schon zu lange und hatte seit Jahren keinen Urlaub mehr genommen.
    Verständlich, dass sich der Körper irgendwann einmal wie im Wachkomazustand fühlte und Unterstützung benötigte, beruhigte sie sich selbst.
    Wenn sie an ihre Kolleginnen dachte, die alle erholsame zwei bis drei Jahre Elternzeit hatten und heute nur noch auf halben Stellen arbeiteten, nahm sie ihre Aufputschmittel wieder gern in Kauf. Kinder kriegen, dieser Kelch war glücklicherweise an ihr vorübergegangen.
    Um vor der Präsentation ihrer Analyse wieder fit und klar zu sein, beschloss sie, eine Runde laufen zu gehen. Für solche Fälle hatte sie im Büro immer Sportsachen dabei und konnte anschließend ihr eigenes Bad benutzen – ein nettes Goody vom Vorstand, das sie vier Jahre zuvor zur letzten Beförderung erhalten hatte.
    Die eigene Dusche war ihrer Meinung nach sinnvoller als ein noch größerer Firmenwagen, den sie aus Mangel an Zeit sowieso nur zur Rushhour von der Haustür bis zur Arbeit hätte nutzen können.
    Beata liebte es, im Herbst in der kräftigen Nachmittagssonne am Main zu joggen. Sie war zu dieser Tageszeit auch nicht die einzige Läuferin, die es nach draußen zog.
    An diesem besonders schönen Herbsttag, an dem die bunten Blätter um die Wette leuchteten, mochte man gar nicht glauben, dass ihre Farben vergänglich sind.
    Beata lief an der Mainpromenade hinter einer Gruppe männlicher Läufer her, die etwas langsamer vorankamen als sie.
    „Links“, rief sie außer Atem, als Signalwarnung dafür, dass sie nun links an der Männergruppe vorbeiziehen werde.
    Sie legte einen Gang zu und zog wie angekündigt an den Läufern vorbei.
    Es war schon berechtigt, dass es „die Karriere“ hieß und nicht „der Karriere“, dachte Beata, während sie den Abstand zu den Männern immer größer werden ließ.
    Beata war schon immer der Meinung, dass das Wort „Karriere“ mit Sicherheit nicht grundlos feminin war.
    All die Attribute, die für Karriere standen, wie Stärke, Ausdauer, Standhaftigkeit, Verantwortung, Verzicht und manchmal verdammt hohe Opportunitätskosten, waren eindeutig das, was sie stets angespornt hatte, besser zu sein als ihre männlichen Mitstreiter.
    Sie wollte dem gerecht werden – „die Karriere“ eben, und nicht „der Karriere“.
    ***

Zurück im Büro und durch eine schnelle Dusche erfrischt, griff sie zu Tee und Zigarette und nahm sich noch mal die Unterlagen zur Unternehmensanalyse vor. Sie war wie immer bestens vorbereitet.
    Dass zwischendrin zwei- oder dreimal das Telefon für sie klingelte, bekam Beata nicht mit. Ihr Sekretär stellte nicht jeden Anruf durch.
    Gleich an seinem ersten Arbeitstag hatte Beata ihm eine Prioritätenliste überreicht, aus der klar hervorging, welche Anrufer direkt durchgestellt werden durften und welche nicht. Und da ihre Mutter, wie so viele, unter der Kategorie „Rückruf “ geführt wurde, erfuhr Beata heute nicht, dass ihre Mutter schon zweimal versucht hatte, sie zu erreichen.
    Anfangs plagten Beata starke Schuldgefühle, wenn sie aus Zeitmangel nicht auf Anrufe und Rückrufbitten ihrer Mutter eingehen konnte. Sie fühlte sich dann schlecht und undankbar. Doch solche Schuldgefühle verschlimmerten ihre chronische Gastritis wie Multiplikatoren, sodass sie schnell lernte, solche Momente einfach zu übergehen.
    So kam es auch, dass sie vorheriges Weihnachten übergangen und somit ihre Mutter das letzte Mal ein Jahr zuvor gesehen hatte.
    ***

Selbstsicher stand Beata nur wenige Zeit später im großen Konferenzraum im zwölften Stock des Wolkenkratzers. Ihr roter Lippenstift war exakt nachgezogen, das schulterlange, dunkle Haar streng zu einem Zopf zusammengebunden. Notebook und Rednerpult auf der einen Seite, der neue Kunde und ihr Chef auf der anderen Seite – das war zumindest das, was Beata in diesem Augenblick wahrnahm.
    Von da an ging alles sehr schnell.
    Die prüfenden Blicke der Kollegen, voller Missgunst und Antipathie, und die selbstzufriedenen Blicke ihres Vorgesetzten, die Aufmerksamkeit des Kunden, der sichtlich beeindruckt war von dem, was er hörte...
    Doch da war noch etwas. Eine seltene Enge in der Brust und eine schlagartige Müdigkeit.
    Hätte sie zuvor noch eine weitere Koffeintablette nehmen sollen? Merkte man ihr etwa diesen Knick in der Leistungskurve an?
    Kurzatmigkeit, schwere Schwindelgefühle und Schmerzen im Oberbauch waren das Letzte, was sie an diesem Tag,
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