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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan
Autoren: Pavel und Ich
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haben, und was kriege ich da zu
fassen? Kaschmirwolle für zweihundert Dollar, warm und triefend, und darin ein
Toter. Ich brauche eine ganze Weile, ihn hervorzuziehen, weil er sich in der
Achse verfangen hat, und als ich es endlich geschafft habe und der Kerl vor mir
liegt, da passiert was Merkwürdiges. Ein halbes Dutzend Katzen streifen durch
die Gasse, kümmerliche kleine Viecher, denen die Rippen durchs Fell stechen und
die ihre Schwänze hochrecken, als wollten sie mir den Mond zeigen. Ich stehe
da, atme Schaum zwischen die Schneeflocken und sehe zu, wie sie sich um mich
scharen, auf weichen Katzenpfoten, und hin und wieder kommt in der Ferne ein
Patrouillenfahrzeug vorbei. Die Katzen umkreisen uns, die Schwänze gegen den
Mond gereckt und die Schnauzen blutrot vom Leuchten meiner Rücklichter. Es sind
üble Mistviecher, glaub mir: die Barthaare reifbedeckt und die Augen wie aus
Glas geschnitten, ein rundes Dutzend davon auf mir und dem toten Mann. Und dann
fangen sie an zu lecken. Im Schnee, meine ich, lecken das Blut im Schnee auf,
lecken es weg wie Muttermilch, und dazu dringt aus ihren Kehlen, ihren ganzen
Körpern dieses Geräusch, man hört es mit der Haut, es ist wie ein Motor, auf
den man die Hand legt. Sie schnurren, mit einem Mal kapiere ich, dass sie
schnurren. Mann, die schnurren und lecken das Blut des toten Zwerges auf.
    Das hat
mich völlig fertig gemacht.
    Was
soll's, ich denke, lieber verschwinden, nur eins macht mir Sorgen: der
Kaschmirmantel. Mann, der bringt mich ins Grübeln. Was, wenn ich irgendwen
Wichtiges über den Haufen gefahren habe? Ich beuge mich also nach unten, um mir
den Burschen genauer anzusehen, fühle den Puls am Hals, direkt unterm
Kieferknochen, aber er hat sich eindeutig das Genick gebrochen. Und dann sehe
ich den Kragen. Der Zwerg trägt zwei verfluchte Sterne, rote Sterne, die an den
Knopflöchern festgemacht sind. Ich hätte mir fast in die Hose geschissen vor
Schreck. Ich stehe mitten im russischen Sektor, das Auto kaputt, und dieser
tote Zwerg vor meinen Füßen, das war mal ein verfluchter russischer
Apparatschik oder so. Die Katzen schnurren, und ich muss eine Entscheidung
treffen. Da fällt mir der Koffer ein. Der scheppert schon ewig hinten im Auto
herum. Ein bisschen was zum Anziehen ist drin, Geld, Papiere, eine Zahnbürste,
nur für den Fall, weißt du, und groß ist er wie ein verdammter Tubakasten. Groß
genug für einen Zwerg. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich kippe den Inhalt
des Koffers hinten auf den Rücksitz meines Autos und dann werfe ich die Leiche
in das Ding. Es wird doch ein bisschen eng, aber zum Teufel, ihn stört's nicht
mehr, und zwei Minuten später bin ich weg. Die Katzen lecken immer noch das
Blut auf, und es kommt so viel Schnee runter, dass man innerhalb einer Stunde
eh nichts mehr sehen wird.
    Gott sei
Dank war es ein Zwerg. Stell dir vor, der Kerl wäre ausgewachsen. Ich hätte ihn
da draußen zerlegen müssen.
    Nicht
auszudenken.«
     
    Das war die Geschichte, Boyd
Whites Geschichte, in der Nacht, als er den Zwerg umbrachte, ihn in einen
Koffer packte und die vier Stockwerke hinauf in Pavels Zweizimmerwohnung in
einer ruhigen Ecke Charlottenburgs schleppte. Boyd stammte aus Kalifornien,
war ein Halunke und Betrüger, ein harter Bursche, der es geschafft hatte, sich
an der hungernden Stadt fett zu fressen. Die meiste Zeit redete er wie ein
zweitklassiger Stichwortgeber aus einem Chandler-Roman, obwohl es auch Momente
gab, in denen die Worte ihm zuflossen, so wie gerade, als er auf den Wintermond
gerichtete Katzenschwänze heraufbeschwor.
    Über diese
Katzen muss man sich allerdings wundern. Sicherlich waren sie ausgemergelt,
aber wie hatten sie überhaupt überlebt? Schließlich war es der Winter '46, der
Winter des Todes, als die Leute erfroren, während sie draußen auf dem Plumpsklo
saßen, das hab ich ja alles schon erzählt. Die meisten Katzen der Stadt waren
längst im Topf gelandet, aus ihrem Fell hatte man Handschuhe und Kragen
gemacht, und der Schwarzmarkt ertrank in Bratschensaiten. In jenem Winter ging
es in Berlin ums nackte Überleben, und gerade in jener Nacht hatten
rachsüchtige Götter Boyd einen ganzen Sandkasten ins Getriebe geschmissen, wenn
Sie mir meine Metaphern verzeihen wollen. Worauf der zu dem einzigen Freund
lief, den er in der Stadt noch hatte, hoch in den vierten Stock, und ohne groß
anzuklopfen bei ihm hereinplatzte, mitten in der Nacht und mit einem toten
Zwerg unter dem Arm.
    Was zum
Teufel hatte er
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