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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan
Autoren: Pavel und Ich
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hatte.
    Ich hätte
gehen, mein Gespräch mit ihr abbrechen und sie ohne einen weiteren Blick verlassen
können. Ich war tatsächlich drauf und dran, es zu tun, aber ich wollte noch so
viel von ihr wissen und war bereit, ich gebe es zu, mich dafür von ihr rüde behandeln
zu lassen. Allerdings schaffte ich es erst, auf den Punkt zu kommen, als sie
ihrerseits Anstalten machte zu gehen. Ich langte in die Richtung, wo sie an
ihrem Portemonnaie herumfummelte, und legte meine Hand auf ihre. Ich musste in
Erfahrung bringen, ob sie mehr wusste, als sie zugab.
    »Hat er je
Kontakt zu Ihnen aufgenommen?«, fragte ich.
    »Sie
meinen, ob er in meinem Vorgarten aufgetaucht ist, während ich drinnen
Klavierunterricht gab, und an der Tür geklingelt hat?« Sie verzog das Gesicht
und nippte an den letzten Überbleibseln ihres Kaffees. »Nein, das hat er
nicht. Eine Weile lang dachte ich, er würde es vielleicht tun, aber dann
begriff ich, dass die Sache nicht so ausgehen würde.«
    »Und wie
ist sie ausgegangen?«
    »Ich habe
ein gutes Leben«, sagte sie. »Und Sie?«
    »Ganz
passabel.«
    »Nun,
seien Sie froh. Dann geht es Ihnen besser als den meisten Menschen.«
    Sie sagte
das mit äußerstem Ernst. Mit genau diesem Ton musste sie ihr Eheversprechen
abgegeben haben. Ich konnte nicht akzeptieren, dass sie sich so belog.
    »Sie haben
ihn doch einmal geliebt, oder?«, fragte ich sie. »Ich muss wissen, dass Sie ihn
geliebt haben.«
    Sie
schürzte die Lippen auf eine Weise, die Missfallen signalisierte. Ihr
Lippenstift passte nicht zu ihrem Hauttyp.
    »Man kann
sich alles Mögliche einreden«, fing sie an. »Dass man nie geliebt hat, immer
geliebt hat, unsterblich geliebt hat und nicht anders konnte. Wenn man sich
erst mal daran gewöhnt hat, kommt die Zeit, da man es jeden zweiten Tag der
Woche mit einer Erleuchtung zu tun bekommt. Und das Schlimmste ist, man fühlt
es wirklich: Der Körper fühlt, dass sich die Wahrheit des Lebens endlich zu
erkennen gibt. Nur, dass es am Mittwoch dann eine andere Wahrheit ist, und der
Körper auch die spürt. Bis ins Mark.«
    Das war
das Längste, was ich sie je hatte sagen hören. Nichts an ihr hatte mich auf
eine derartige Beredsamkeit vorbereitet.
    »Sie sind
verbittert, weil die Dinge am Ende nicht so gelaufen sind«, sagte ich ihr.
    »Sie haben
nicht zugehört, Peterson. Sie erzählen gerne Geschichten, aber zuhören wollen
Sie ums Verrecken nicht.«
    Sie winkte
nach der Rechnung. Die Bedienung kam und schob mir ein Stück Papier unter die
Tasse. Ich hielt den Blick auf Sonja gerichtet.
    »Ich weiß Dinge, die Sie nicht
wissen«, erklärte ich ihr. »Zum Beispiel?«
    »Ich weiß,
was er für Ihr Leben gegeben hat. Für Ihres und das von Anders.«
    Sie hielt
meinem Blick einen Moment lang stand und schüttelte schließlich den Kopf.
    »Behalten
Sie's für sich«, sagte sie. »Ich weiß, was ich wissen muss.«
    Wir
wechselten noch zwei, drei belanglose Worte. Dann gingen wir unserer Wege. Ich
glaube, sie verachtete mich, weil ich darauf bestand, dass jeder seinen eigenen
Kaffee bezahlte.
     
    Ich erzählte sie ihr also nicht.
Die Dinge, die ich herausgefunden hatte. Dass ich seine Dienstakte hatte
einsehen wollen und herausfinden müssen, dass sie als geheim eingestuft war.
Auch nicht, dass ich mit Soldaten gesprochen hatte, die zusammen mit Pavel in
der »Aufklärung und Unterwanderung« tätig gewesen waren: schmallippigen
Veteranen, die aus Gewohnheit vorsichtig waren, selbst nach einer Flasche
besten irischen Whiskeys. Oder dass ich versucht hatte, seine Frau ausfindig zu
machen, nur um in Erfahrung zu bringen, dass er gar keine Frau hatte. Keine
Eltern in Cincinnati, keinen Taufeintrag. Es war leicht, mir vorzustellen, was
Sonja zu alldem gesagt hätte. »Dann hat er Sie also belogen«, hätte sie gesagt
oder vielleicht auch den Drang verspürt, Entschuldigungen für ihn zu finden.
»Sie müssen sich in der Stadt geirrt haben. Es ist immerhin siebzehn Jahre her.
Da vertauscht man leicht einiges.«
    Dennoch,
ich wäre fortgefahren. Ich hätte ihr erzählt, dass ich im August 1953 in London
einen amerikanischen Offizier kennen gelernt hatte, direkt nachdem die UdSSR
ihre eigene Atombombe entwickelt hatte und die ganze Welt den Rosenbergs die
Schuld daran gab. Sein Name war Finnigan, James Arthur Finnigan. Mir zum
Gefallen hatte dieser Finnigan einen Blick in Pavels Akte geworfen und
herausgefunden, dass er, wenn die Unterlagen denn stimmten, nie entlassen
worden war. Natürlich konnte auch
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