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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan
Autoren: Pavel und Ich
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sie wiedersehen, wenigstens einen von ihnen,
am besten jedoch alle drei, was immer sich einrichten ließ. Mit Pavel hatte
ich kein Glück. Es gab keine Möglichkeit, ihn ausfindig zu machen. Ich hatte
meine Erkundung seiner Vergangenheit so weit ausgedehnt, wie es mir mein
bescheidenes Einkommen erlaubte, und einige beunruhigende Dinge ans Licht
gebracht. Seine Gegenwart blieb mir jedoch verschlossen, die Sowjetunion ein versiegelter
Raum. Wenn er sie seit seiner »Verhaftung« verlassen haben sollte (und es gab
Grund zu der Annahme, dass dies der Fall war), dann hatte er einen anderen
Namen angenommen und lebte wahrscheinlich in Washington, vielleicht auch in
Bonn, in Diensten einer Regierung, oder vielmehr zweier.
    Sonja fand
ich ohne allzu große Probleme. Nach ihrer Heirat waren die Skinners nach
Lexington, Virginia, gezogen. Er war im Teppichgeschäft (ein Kommunist, der mit
Teppichen handelt, lächerlich, ich weiß), sie gab Klavierunterricht. Anders
verließ das Haus, sobald er volljährig war, und kehrte nach Deutschland zurück.
Das jüngere Kind, eine Tochter namens Jean, war 1964 gerade ein
Highschool-»Junior«, also im vorletzten Jahr, und arbeitete hart daran, im
Jahr darauf beim Abschlussball zur Ballkönigin gekürt zu werden. Ich sparte
mir einen Flug in die Vereinigten Staaten zusammen, schrieb Sonja einen Brief
und bat sie um ein Treffen. »Vielleicht erinnern Sie sich nicht an mich«,
schrieb ich, »aber ich hatte das Vergnügen, Ihnen einmal etwas Geld
auszuhändigen, das man Ihnen schuldete. Ich war Pavels Freund«, fügte ich noch
hinzu, in der Hoffnung, es möge helfen. Sie antwortete zwei Wochen später und
schlug vor, sich mit mir in einem Coffee Shop in der Stadt zu treffen, wo sie
mit Sonnenbrille und einem blumenbedruckten Kleid erschien. Ihre Frisur
erinnerte sehr an Jackie Kennedy. Es war jetzt siebzehn Jahre her, dass ich sie
zuletzt gesehen hatte, und sie war immer noch schön, wenn auch um die Taille
ein wenig fülliger.
    »Ich hatte
fast vergessen, dass Sie eine Augenklappe tragen«, sagte sie, nachdem wir uns
die Hände geschüttelt hatten. Ich grinste wie ein Narr und bestellte einen
Kaffee. Wir saßen in einer Nische ganz hinten, neben der Jukebox.
Glücklicherweise war das Lokal so gut wie leer.
    Wir
unterhielten uns, wobei Sonja anfangs etwas einsilbig war. Ich fragte sie nach
ihrem Leben, und sie antwortete mit knappen, präzisen Sätzen, dass es ihr gut
gehe, vielen Dank. Die Kühle ihrer Antwort überraschte mich. So schnell, wie
sie auf mein Schreiben geantwortet hatte, war ich überzeugt gewesen, dass sie
Lust auf eine Aussprache verspürte. Ich hatte sogar mit dem Gedanken gespielt,
sie zu bitten, doch vorab schon einige Dinge aufzuschreiben, um mir ihre
Version unserer Geschichte zu liefern. In meiner Verwirrung fing ich an zu
quasseln und erklärte ihr ein weiteres Mal, wer ich war und wie ich Pavel
kennen gelernt hatte, wobei ich einige der eher unappetitlichen Einzelheiten
umschiffte und mich sehr zurücknahm, was ihr sexuelles Verhalten damals betraf.
Es hatte keinen Sinn, diese Frau zu beleidigen. Am Ende blieb ich, fürchte ich,
bei den Gesprächen hängen, die ich mit Pavel unten im Keller des Colonels
geführt hatte. Ich meine, wann kann man das schon? Über die wirklich wichtigen
Dinge sprechen, all jene Gedanken und Erfahrungen, die ein Mann in seiner
Brust trägt und an denen er die Hälfte seines Daseins herumwürgt? Höchstens
ein-, zweimal im Leben gelangen sie nach außen, und sehr oft überhaupt nicht.
Pavel und ich, wir hatten miteinander gesprochen, wie man mit einem Priester
sprechen mag, nur besser noch, denn auch da taktiert man, besonders was die
Dinge betrifft, mit denen man sich selbst beschuldigt. Es hat mein Leben
erfüllt, unser Reden. Nur manchmal fürchtete ich, niemals richtig mit ihm gesprochen zu haben.
    »Manchmal«,
erklärte ich Sonja (ich gestikulierte dabei eine Menge und drohte immer wieder
unsere Kaffeetassen umzustoßen), »manchmal, im Nachhinein, verstehen Sie,
kommt es mir vor, als hätte er mich immer nur weiter an der Nase herumgeführt,
immer tiefer hinein in ein Ich, das er aus dem Stegreif erfand, und das alles
mit einem einzigen Ziel: mich zu benebeln und zu entkommen.«
    Ich hielt
erschöpft inne.
    »Und?«,
fragte sie.
    »Und?!«
    »Sie haben
ein paar Nächte zusammen verbracht, so wie beim Camping, und er hat Sie
verarscht. Wollen Sie jetzt Mitleid von mir?«
    In diesem
Moment begriff ich, dass sie ihm nie vergeben
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