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VT07 - Niemandes Welt

VT07 - Niemandes Welt

Titel: VT07 - Niemandes Welt
Autoren: Dario Vandis
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Augenblick schloss sich die graue, sehnige Hand eines Gruh um die Kehle des Hauptmanns.
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    Prinzessin Marie ließ sich durch Kanzler Goodefroot beim Abendessen entschuldigen und bestellte ihn anschließend in ihre Privaträume, wo sie an einem einfachen Holztisch vor einem Fenster ein bescheidenes Mahl hatte vorbereiten lassen.
    Auf dem Tisch brannte eine Kerze, in deren Licht die Prinzessin nachdenklich aus dem Fenster auf die Silhouette von Orleans-à-l’Hauteur – einer Wolkenstadt neuer Bauweise – blickte. Sie war noch immer erschöpft, allerdings weniger durch die Fechtstunden, als durch den einnehmenden Charakter ihrer Schwester Antoinette, die ihr in prätentiösen Worten von den schauerlichen Ereignissen berichtet hatte, die sich in der Nähe von Avignon-à-l'Hauteur bei der Großen Grube zugetragen hatten.
    Anfangs hatte Marie die Schilderungen kaum glauben können. Antoinette war schon immer für Übertreibungen bekannt gewesen – vor allem wenn es darum ging, ihr schweres Schicksal und die Verantwortung zu betonen, die der Kaiser mit der Herrschaft über Avignon in ihre Hände gelegt hatte.
    Aber Prinzessin Lourdes war verschwunden. Wahrscheinlich war sie bereits tot! Dies ging auch an ihrer Zwillingsschwester Antoinette nicht spurlos vorüber.
    Marie trauerte um Lourdes, auch wenn sie ihr nicht besonders sympathisch gewesen war. Lourdes' und Antoinettes Ansichten, wie ein Hofstaat zu regieren sei, riefen in Marie tiefes Missfallen hervor. Sie wäre nie darauf gekommen, sich für etwas Besonderes zu halten. Genau genommen war sie das ja auch nicht. Sie war die Tochter des Kaisers – eine seiner Töchter wohlgemerkt, von denen er immerhin so viele besaß, dass sie sich immer wieder fragte, wie er sich überhaupt ihre Namen merken konnte. Pilatre de Rozier hatte viel getan für die Völker in den Wolkenstädten, aber er war auch ein Lebemann erster Güte. Und sein Engagement für die Menschen auf der Erde, die immerhin einen Großteil der Wertschöpfung erwirtschafteten, die der Hofstaat verprasste, hielt sich nach Maries Ansicht in tadelnswert geringen Grenzen.
    Das Ergebnis war, dass Prinzessinnen wie Antoinette oder Lourdes ein Leben in Saus und Braus für selbstverständlich hielten und rasch jene Selbstverliebtheit an den Tag legten, die ihrem Vater immer ein Dorn im Auge gewesen war. Sah Pilatre denn nicht, wie die meisten seiner Nachkommen seine Ideale mit Füßen traten?
    Ein bitterer Zug kerbte sich um Maries Lippen. Wahrscheinlich war ihr Vater zu sehr mit seinen Frauen beschäftigt, um sich mit solchen Belanglosigkeiten zu beschäftigen.
    Es klopfte.
    »Herein«, murmelte Marie und nahm automatisch jene gerade Haltung ein, die ihren Ruf als unerbittliche, aber gleichzeitig verantwortungsbewusste Herrscherin begründet hatte. Wie gern hätte sie sich manchmal gewünscht, Verantwortung abgeben zu können – aber wer sollte sie übernehmen? Ihre Schwestern Antoinette oder Lourdes vielleicht? Die richteten in Avignon schon genug Schaden an.
    Wieder begannen ihre Gedanken um die schreckliche Botschaft zu kreisen, die Antoinette überbracht hatte. Grauhäutige Monstren waren zahlreich wie Frakken über die Menschen auf dem Erdboden hergefallen…
    »Eure Excellenz?« Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie den Schatten an ihrer Seite gar nicht bemerkt hatte. Kanzler Goodefroot stand am Tisch und wartete auf ihre Erlaubnis, sich setzen zu dürfen.
    »Nehme er Platz«, murmelte sie abwesend.
    Goodefroot ließ sich auf den Stuhl sinken und bedachte die Prinzessin mit einem stirnrunzelnden Blick. »Wenn mir eine Bemerkung erlaubt ist…«
    »Naturellement. Er spreche frei aus dem Herzen.«
    »Es war vielleicht keine gute Entscheidung, das Abendessen ausfallen zu lassen. Die Leute am Hof reden bereits…«.
    »Schön. Ich bin froh, wenn die verehrten mesdames et messieurs überhaupt irgendetwas tun.«
    »Aber das Gerede ist schädlich, glaubt mir…! Natürlich wurde Prinzessin Antoinettes Eintreffen aufmerksam verfolgt. Man munkelt bereits, dass etwas Schreckliches im Gange ist.«
    Sie starrte ihn an. »Hat er Antoinettes Bericht vergessen? Es ist etwas Schreckliches im Gange, Kanzler. Nur aus diesem Grund habe ich ihn hierher bestellt.«
    Der Kanzler senkte den Kopf. Sie tadelte sich in Gedanken. Sie konnte seine Skepsis verstehen. Was Antoinette erzählt hatte, klang so furchtbar, so unglaublich – andererseits wusste Marie aus eigener Erfahrung, wie fremdartig und
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