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VT04 - Zwischen Leben und Sterben

VT04 - Zwischen Leben und Sterben

Titel: VT04 - Zwischen Leben und Sterben
Autoren: Jo Zybell
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akustischer Alarm schrillte und rote Lampen leuchteten auf. Leila schrie hysterisch, Hagens Bellen überschlug sich, und der Professor, auf der anderen Seite der Wannenkonsole, schob den Glasdeckel von seinem Körper und stand auf. In seiner sonst so beherrschten Miene zuckte jeder Muskel. Das blanke Entsetzen regierte seine Gesichtszüge.
    »O nein!«, rief er mit Blick auf Dark, der sich grunzend und stöhnend am Boden wälzte. »O nein, nicht auch noch das!« Decker lief um die Wanne herum, griff in die Tasche seines Arztmantels und zog ein Mobiltelefon heraus. An der Konsole blinkten hundert rote LED-Leuchten. »Notfall in Schlafkammer achtundvierzig!«, brüllte Decker in sein Handy. »Notfall in achtundvierzig! Ein komplettes Notfallteam hierher, schnell!«
    Er steckte das Gerät weg und ging neben Dark in die Hocke. »Kommen Sie!«, rief er in Leilas Richtung. »Helfen Sie mir, ihn zurück in –«
    Hanns-Joseph Dark packte mit beiden Händen zu, umklammerte den Hals des Professors und schlug dessen Kopf gegen die Konsole. Er lag unter dem Mediziner, hatte fünf Monate geschlafen und war vom sechsten Brustwirbel abwärts gelähmt – und dennoch schüttelte er den anderen über sich hin und her, als wäre der nur eine Strohpuppe. Er riss Decker hinunter auf die Kacheln, schleuderte ihn nach rechts gegen die Schlafwannenkonsole, riss ihn wieder auf die Kacheln, wieder und wieder.
    Leilas Geschrei erstarb, Panik und Entsetzen schnürten ihr die Luft ab.
    Zwanzig Mal und mehr schlug ihr entstellter Gatte den Kopf des bedauernswerten Professors auf den Boden oder gegen die Konsole, bis er ihn endlich losließ. Leblos und bizarr verkrümmt blieb der Professor liegen. Er blutete aus Mund, Nase und Ohren, und seine aus den Höhlen getretenen Augäpfel starrten durch Leila hindurch. Violettes Licht brach sich in ihnen.
    Leila fröstelte. Der Gedanke, dies alles wäre gar nicht wahr, dies alles wäre nur ein böser Traum, erschien ihr plötzlich als der einzig denkbare. Er half ihr, wieder zu atmen. Das grollende Gebell ihrer Dogge drang in ihr Bewusstsein. Dark drehte seinen Oberkörper herum, stützte sich auf den Ellenbogen auf und sah sie aus seinen toten Augen an.
    »Warum nur, Hanns? O Gott, warum…?« Sie konnte nur noch flüstern.
    Dark machte eine blitzschnelle Bewegung, sodass sein lahmer Unterkörper sich erst auf die Seite und dann ebenfalls auf den Bauch drehte. Mit Unterarmen und Fäusten stieß er sich von den Kacheln ab und robbte auf diese Weise zu Leila. Ehe sie reagieren konnte, packte er ihre Knöchel. Da erst schrie sie auf.
    Sie fühlte, wie die Hundleine an ihrem Handgelenk sich straffte, wie eine unwiderstehliche Kraft sie zu sich riss. Der Körper des monströsen Mannes prallte erst auf ihre Beine, dann auf ihren Unterleib, schließlich auf ihre Brust. Seine Finger schlossen sich um ihren Hals, ihr Geschrei verröchelte.
    Das eingefallene, verzerrte Gesicht schwebte dicht über ihr, kaum erkannte sie noch die Züge des einst geliebten Mannes darin. Er riss den Mund auf, während er ihr den Hals zudrückte. Geifer troff ihr ins Gesicht, seine Haut hatte die Farbe eines verfaulenden, violett angelaufenen Pilzes, er stank entsetzlich aus dem Mund. Die Sinne schwanden ihr, sie gab auf.
    Die Hundleine in ihrer Faust verlor plötzlich ihren Zug. Ein Schatten flog über sie hinweg, Hagens Gebell ging in wütendes Knurren über.
    Der mörderische Griff um Leilas Hals lockerte sich. Die Dogge schnappte nach Dark und zerrte ihn vom Leib ihrer Herrin. Leila wälzte sich zur Seite, zog röchelnd die Luft ein und hielt sich den Hals. Sie hörte Schritte und Stimmen. Als sie sich drei Atemzüge später umdrehte, stand Hagen breitbeinig über dem reglosen Körper ihres Mannes und knurrte böse. Aus Darks zerrissener Kehle sprudelte schwarz-violettes Blut…
    ***
    London, 22. August 2009
    Vor dem Fenster graute der Großstadtmorgen, aus den Boxen perlte Mozarts 21. Klavierkonzert, auf dem Rand des überfüllten Aschenbechers dampfte eine Filterlose ihrem Ende entgegen. Tom Percival bekam von all dem kaum etwas mit. Selbst dass seine fleischigen Finger ohne Unterbrechung über die Tastatur flogen, registrierte er nur beiläufig.
    Auch wenn er körperlich nicht zu übersehen war und bei jeder Bewegung seinen alten Schreibtischstuhl zum Ächzen brachte, hielt er sich in Wahrheit doch an einem ganz anderen Ort und einer anderen Zeit auf. Im Geist betrat er gerade als Frau die Wachhütte eines Pfahlbaudorfes.
    …
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