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Vorstadtkrokodile

Vorstadtkrokodile

Titel: Vorstadtkrokodile
Autoren: M von der Grün
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sie nirgendwo einen geeigneten Spielplatz fanden. In den Vor- und Hintergärten ihrer Siedlung war es verboten, und auf der Straße zu spielen war noch gefährlicher. Und wenn sie doch einmal in den Gärten spielten, dann hieß es nur: Ihr macht ja den Rasen kaputt… jetzt ist schon wieder alles schmutzig.
    An die Papageiensiedlung grenzte ein kleiner Wald, er wurde »Kleine Schweiz« genannt, aber niemand wusste, woher der Name kam. Dort spielten sie vor allem und dort hatten sie auch aus Ästen und Reisig eine Hütte gebaut.
    Der Förster sah es nicht gerne, aber er verjagte sie auch nicht, weil sie keinen Schaden anrichteten.
    Auf das Ziegeleigelände gingen sie immer dann, wenn ein Junge in ihre Bande aufgenommen werden wollte und die Mutprobe ablegen musste. Wer die Mutprobe nicht bestand, der wurde nicht aufgenommen.
    Auf das Dach hinaufzuklettern war für Hannes bedeutend leichter gewesen, als wieder herunterzukommen, denn beim Abstieg konnte er nicht sehen, wohin er seine Füße setzte, und zurückzuschauen traute er sich immer noch nicht, weil ihm dann schwindelig wurde.

    Immer wieder, wenn seine Hände einen Halt gefunden hatten, musste er mit den Füßen eine Stütze ertasten, bis er darauf stehen konnte. Das war zwar mühsam, aber Hannes glitt allmählich auf dem Bauch Zentimeter um Zentimeter abwärts.
    An den Knien war seine Hose schon aufgerissen und auch sein Pulli war an den Ellenbogen durchgescheuert. Seine Hände waren zerkratzt und die Fingerkuppen bluteten. Hannes musste es schaffen, er musste den Krokodilern, die sich ihm gegenüber immer so herablassend benommen hatten, beweisen, dass er für die Bande weder zu jung noch zu schwächlich war. Wenn er unten auf dem Hof anlangte, dann war er einer der ihren, dann durfte keiner mehr sagen: Hau bloß ab, du halbe Portion.
    Da plötzlich, schon im unteren Drittel des Daches, riss ein Ziegel, an dem sich Hannes mit dem Fuß abgestützt hatte, aus seiner Verankerung.
    Langsam rutschte er auf dem Bauch abwärts und ihm war erst gar nicht bewusst, was da passierte, aber als er merkte, dass er sich nirgendwo mehr festklammern konnte, schrie er, so laut er nur konnte: »Hilfe! Hilfe! Ich stürze ab…«
    Im Abrutschen riss er noch ein paar Ziegel heraus, die mit lautem Knall auf den Hof fielen und dort auf dem Betonboden in tausend Stücke zerplatzten. Die Krokodiler aber konnten ihm nicht helfen. Sie sahen, vor Schreck gelähmt, nur hinauf auf das Dach. Sie mussten ein paar Schritte zurücktreten, sonst wären sie von den herabfallenden Ziegeln getroffen worden.

    Maria biss sich vor lauter Aufregung auf die Faust. Olaf sah mit offenem Mund nach oben, auch er brachte kein Wort hervor.
    Erst in der Dachrinne fand Hannes mit seinen Füßen wieder einen Halt, seine Hände klammerte er um eine freiliegende Dachlatte.
    Endlich schrie Olaf: »Hannes! Halt dich fest, wir holen Hilfe! Halt dich fest!«
    Aber als Hannes in seiner Angst und Verzweiflung zu weinen anfing und zu schreien, liefen die Krokodiler plötzlich fort. Hannes, der es nicht sehen konnte, drückte sein Gesicht in das Loch des Daches und schrie weiter aus Leibeskräften um Hilfe.
    Er hoffte, einer der Krokodiler würde zu ihm aufs Dach klettern, um ihm zu helfen. Seine Angst steigerte sich, weil auch die Dachrinne zu schwanken begann. Auch sie war angerostet und stellenweise aus der Halterung gerissen. Er musste fürchten, dass sie jeden Moment auseinander brach. Es war nur eine Frage der Zeit, wie lange die Dachrinne die Last noch trug.
    Auch Maria war anfangs so verwirrt, dass sie hinter den Jungen hergelaufen war, hatte dann aber versucht, als sie schon außerhalb des Ziegeleigeländes waren, die Jungen aufzuhalten. Aber die rannten, als würden sie verfolgt. Sie rissen ihre Fahrräder aus dem Straßengraben, schwangen sich einer nach dem andern darauf und rasten davon, Richtung Papageiensiedlung. Die Krokodiler hatten plötzlich mehr Angst als Hannes auf dem Dach.
    Maria war hinter den Jungen hergefahren, wollte dann
umkehren, besann sich aber und fuhr weiter bis zur Hauptstraße. Dort trat sie in eine Telefonzelle. Sie wählte die Nummer der Feuerwehr und rief aufgeregt in die Muschel: »Sofort kommen… mit Leiter, auf das Ziegeleigelände an der Papageiensiedlung… da hängt einer an der Dachrinne… der stürzt ab… sofort kommen!« Dann hängte sie ein.
    Als Maria wieder auf die Straße hinausgetreten war, glaubte sie Hannes schreien zu hören, aber das konnte wohl schlecht möglich
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