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Vorstadtkrokodile

Vorstadtkrokodile

Titel: Vorstadtkrokodile
Autoren: M von der Grün
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abnahm.
    »Der schimpft uns aus«, sagte Maria.

    »Aber dann weiß er doch wenigstens, wo das Reh geblieben ist, wenn er es schon nicht mehr ausgräbt«, antwortete Theo.
    »Ach was«, rief Olaf, »jetzt nicht mehr. Vergessen wir alles. Das nächste Mal wissen wir Bescheid.«
    »Vielleicht kriegen wir eine Belohnung«, warf Peter ein.
    Frank antwortete boshaft: »Ja, eine automatische Nasenbohrmaschine für dich.«
    Die anderen lachten.
    »Ihr seid gemein!«, rief Peter, schwang sich auf sein Fahrrad und verließ den Wald.
    »Das war gemein«, sagte Hannes zu Frank.
    »Gemein? Weißt du, was gemein ist? Einem nackten Mann in die Tasche langen, das ist gemein.«
    Aber keiner lachte, denn sie kannten die Redensart schon.
     
    Am übernächsten Nachmittag musste Hannes für seine Mutter in den COOP einkaufen gehen, unterwegs traf er Olaf, Peter, Frank und Rudolf, die zum Schwimmen ins Hallenbad fuhren.
    »Kommst du mit?«, fragte Olaf.
    »Geht nicht, muss für meine Mutter einkaufen, die ist wieder schlecht auf den Beinen wegen ihrer Krampfadern.«
    »Na, dann eben nicht«, sagte Olaf und die Jungen fuhren weiter.
    Vor der Ladentür des COOP wartete Kurt im Rollstuhl auf seine Mutter, die im Laden Besorgungen machte.
Kurts Beine waren wieder mit einer Decke umwickelt, obwohl es warm war.
    »Warum hast du denn immer eine Decke um deine Beine?«, fragte Hannes.
    »Weil ich die Beine nicht bewegen kann. Da werden sie kalt. Deshalb muss ich eine Decke drum haben.«
    »Und kalt dürfen sie nicht werden?«, fragte Hannes.
    »Willst du dir gerne die Zehen erfrieren?«, fragte Kurt.
    »Aber es ist doch sehr warm«, antwortete Hannes.
    »Für dich ja, aber nicht für meine Beine. Weißt du, wenn sie kalt werden, dann zirkuliert das Blut nicht so, sagt der Arzt, und das kann gefährlich werden.«
    »Ach so«, sagte Hannes, obwohl er kein Wort verstand.
    »Aber stehen kann ich, wenn mich einer festhält«, fuhr Kurt fort.
    »Stehen kannst du? Wie lange denn?«, fragte Hannes interessiert.
    »Na, nicht lange, ein paar Minuten. Meine Mutter übt mit mir… du wohnst doch in der Gudrunstraße? Ich wohne in der Silberstraße, aber das weißt du ja. Ich kenne alle von euch Krokodilern. Ich beobachte euch immer. Ich hab einen Feldstecher.«
    »Feldstecher? Was ist denn das?«, fragte Hannes.
    »Kennst du kein Fernglas?«
    »Ach so, Fernglas meinst du, sag das doch gleich«, erwiderte Hannes und er wusste jetzt nicht so recht, was er mit dem Jungen reden sollte, der nicht laufen konnte, der in eine Sonderschule musste, der nicht Rad fahren und nicht auf der Straße spielen konnte. Er hätte Kurt gerne
mehr von den Krokodilern erzählt, von der Hütte im Wald und vom toten Reh, das sie begraben hatten, aber er wusste nicht, ob ihn das auch interessierte. Vielleicht hatte Kurt noch nie ein Reh gesehen. Er konnte ja nicht laufen und wusste daher nicht, wie es ist, wenn man vor einem Förster ausreißt, wenn man Leute ärgert, Mädchen mit Fahrrädern einkreist, auf Bäume klettert und von oben Erwachsene mit Steinchen bewirft, dass sie dann stehen bleiben, nach oben sehen und doch nichts entdecken, weil man selbst im Blattwerk gut versteckt ist.
    »Kannst du mal zu mir kommen?«, fragte Hannes dann doch. »Ich meine zum Spielen. Ich habe einen Zwerghasen, der ist ganz zutraulich, der frisst mir aus der Hand. Hannibal heißt er.«
    »Das wird nicht gehen«, antwortete Kurt. »Vor eurem Haus ist keine Auffahrrampe, da müssten mich zwei Mann in eure Wohnung tragen… aber du kannst ja zu mir kommen«, fügte Kurt noch schnell hinzu, als habe er Angst, Hannes könnte ablehnen.
    »Sicher komme ich, wenn ich darf, ich meine, wenn deine Mutter es erlaubt.«
    Da kam Kurts Mutter schon mit zwei prall gefüllten Einkaufstaschen aus dem Laden. Sie nickte Hannes zu.
    »Darf ich Kurt schieben?«, fragte er.
    »Das ist für dich bestimmt zu schwer. Aber du kannst mitkommen und zugucken, wie das mit dem Rollstuhl gemacht wird.«
    Die Frau stellte die beiden schweren Taschen auf Kurts Schoß, der sie mit beiden Armen festhielt. Beinahe hätte
Hannes seinen eigenen Auftrag vergessen. Er lief in den Laden, um Margarine und Obst einzukaufen, Kurt und seine Mutter warteten vor dem Laden auf ihn. Dann lief Hannes neben dem Rollstuhl her bis zur Silberstraße, er durfte dann doch mit schieben helfen, wenn die Straße etwas Steigung hatte, und Kurt half auch selbst mit, als seine Mutter ihm die Einkaufstaschen abgenommen hatte. Er drehte an den beiden
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