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Vorstadtkrokodile

Vorstadtkrokodile

Titel: Vorstadtkrokodile
Autoren: M von der Grün
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mit.
    Das war im Juni. Über der großen Stadt Dortmund lastete eine kaum erträgliche Hitze, der Staub und der Gestank aus den großen Fabriken machte das Atmen schwer. Die Ferien waren noch in weiter Ferne, erträglich war es nur im Wald und in den Schwimmbädern, in der Schule beim Unterricht schliefen sie manchmal ein, so heiß war es. Es war auch die Zeit, wo fast täglich in den nördlichen Vororten nachts in Läden eingebrochen wurde. Gestohlen wurden vor allem Wein und Schnaps, Kofferradios und Fernsehgeräte, Zigaretten, aber auch Geld, wenn es sich noch in den Ladenkassen befand.

    Fast jeden zweiten Tag erfuhren die Leute aus der Zeitung, dass wieder irgendwo eingebrochen worden war. Auch ganze Kisten Dosenbier wurden gestohlen, Konserven, Hartwürste, besonders aber Kassettenrecorder, Radios und Tonbandgeräte. Immer waren die Einbrecher wie vom Erdboden verschwunden. Niemand hatte sie gesehen, niemand konnte Hinweise geben. Nach wenigen Tagen schon sprachen Polizei und Einwohner nur noch von der Geisterbande, weil sich keine Spuren fanden, keine Fingerabdrücke. Die Polizei tappte im Dunkeln. Es wurde eine Belohnung von fünfhundert Mark ausgesetzt. Die geschädigten Ladenbesitzer hatten noch einmal eine Belohnung von tausend Mark ausgesetzt für Hinweise.
    Aber auch das half nichts, es gab einfach keine Hinweise, die der Polizei bei der Aufklärung hätten weiterhelfen können. Dabei wurden die Einbrüche nur in den nördlichen Vororten verübt.
    Die Einwohner hatten natürlich, wie das immer so ist in diesen Fällen, zuerst die Ausländer in Verdacht, die Türken und die Italiener.
    Die Gastarbeiter wohnten in einem Altbauviertel hinter der Kleinen Schweiz, das einen heruntergekommenen Eindruck machte, weil die Hausbesitzer nichts mehr an den Häusern reparierten. Die Häuser sollten in einigen Jahren abgerissen werden, um Platz für neue Hochhäuser zu machen. An vielen Häusern war der Putz längst abgefallen und zerbrochene Fensterscheiben waren durch Pappe ersetzt.
    In der Papageiensiedlung erzählten einige Leute wichtigtuerisch,
dass die Türken die Einbrecher seien, andere wiederum meinten, das passe eher zu den Italienern, aber insgesamt waren sie sich darin einig, dass es nur Gastarbeiter sein konnten. Die Polizei hatte auch schon einmal auf Grund einer anonymen Anzeige in dem Ausländerviertel eine Haussuchung vorgenommen, aber nichts gefunden, was den Verdacht hätte bestätigen können.
    Vor allem Olafs Vater konnte sich nicht genugtun, in der Familie und in seiner Stammkneipe die Ausländer zu beschuldigen. »Dieses Pack«, sagte er immer, »sollen doch hingehen, wo sie hergekommen sind, nehmen uns nur die Arbeitsplätze weg.«
    Als Olaf einmal beim Abendessen sagte, dass es doch auch Deutsche sein könnten, bekam er von seinem Vater eine Ohrfeige und wurde angeschrien: »Wenn ich sage, dass es Ausländer sind, dann sind es Ausländer. Basta!«
    »Und wenn draußen die Sonne scheint, und du sagst, es regnet, dann regnet es noch lange nicht«, erwiderte Maria und lief sofort aus dem Zimmer, damit sie sich nicht auch noch eine Ohrfeige einhandelte.
    Natürlich redeten auch die Krokodiler über die Einbrüche, kein Wunder, denn seit Tagen war das in ihren Familien Gesprächsthema Nummer eins. Die wildesten Gerüchte waren in Umlauf, die unglaublichsten Verdächtigungen wurden ausgesprochen.
    Hannes hatte seinen Vater gefragt: »Was meinst du, Vater, wer die sind?«
    Er hatte nur geantwortet: »Jeder kann es sein.«
    Und Kurts Vater hatte auf die Frage seines Sohnes noch
gesagt: »Ich glaube gar nicht, dass es richtige Einbrecher sind, vielleicht sind es nur welche, die sich einen Spaß machen wollen.«
    Als sich die Krokodiler am Sonntagvormittag in ihrer Hütte trafen, redeten sie natürlich darüber. Zu Hause erzählten sie immer, dass sie in die Kirche gingen, dabei war Sonntagvormittag immer Treffpunkt in der Kleinen Schweiz.
    Als sie vor der Hütte standen, kamen Kinder den Weg entlang. Die Krokodiler hörten sofort, dass es Ausländer waren, auch wenn sie Türkisch von Italienisch nicht unterscheiden konnten, sie hörten jedenfalls kein deutsches Wort.
    Als die Kinder fast vor ihrer Hütte waren, rannte Frank mit Indianergeheul auf sie zu, warf mit Tannenzapfen und kleinen Steinen nach ihnen und schrie hinter ihnen her: »Schert euch weg, ihr Spagettifresser!«
    Es waren Italienerkinder. Sie waren so erschrocken, dass sie vor lauter Angst das Weite suchten, nur ein kleiner Knirps, der
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