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Vorstadtkrokodile

Vorstadtkrokodile

Titel: Vorstadtkrokodile
Autoren: M von der Grün
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die er jede Woche kriegt… und die wirft er ja auch nicht zum Fenster raus, da kauft er sogar für Hannibal Futter.«
    »Die Miete wird im nächsten Jahr höher, zwanzig Mark, hab ich gehört.«
    »Dann müssen wir dreihundertfünfzig bezahlen?«
    »Genau«, sagte der Vater, nahm die Zeitung und setzte sich in das Wohnzimmer.
    Kaum war der Vater aus der Küche, hüpfte Hannibal durch die offen stehende Tür in das Zimmer. Hannes rief leise, der Zwerghase kam angehoppelt und sprang auf
Hannes’ ausgestreckten Arm. Hannes setzte Hannibal auf seinen Schoß und hielt ihm eine Mohrrübe hin, die er mit Genuss zu fressen begann.
    »Hannibal hört dich schon, wenn du noch auf der Straße bist«, sagte die Mutter, »dann kratzt er an der Tür wie ein Hund.« Sie streichelte Hannibal, der sich aber beim Fressen nicht stören ließ.
    Der Hase hatte ein silbergraues Fell und war ein Geburtstagsgeschenk von Hannes’ Großmutter. Sein Vater hatte für den Zwerghasen einen großen Stall gebastelt. Er stand im Kinderzimmer und musste jeden zweiten Tag von Hannes gereinigt werden.
     
    Das Spielverbot mit dem Hasen hatte sein Vater wieder aufgehoben, weil es nicht möglich war Hannibal ständig einzusperren, aber das Fernsehverbot hielt er aufrecht. Deshalb sah Hannes in den folgenden Tagen viel aus dem Fenster, besonders wenn er allein in seinem Zimmer war.
    Am dritten Tag bemerkte er draußen auf der Straße eine Frau, die einen Jungen im Rollstuhl schob. Der Junge war etwas älter als er selbst, vielleicht zwölf. Der Junge hatte braune Haare und seine Beine waren mit einer Decke umwickelt.
    Als er die Frau am nächsten Tag mit dem Jungen wieder sah, ging er ins Wohnzimmer, wo seine Mutter an der Nähmaschine saß, und fragte, was mit dem Jungen wäre.
    »Warum fragst du?«, sagte seine Mutter. »Die wohnen nicht weit weg von uns, in der Silberstraße.«
    »Und was ist mit dem Jungen?«, fragte Hannes

    »Der kann nicht laufen, der muss immer getragen oder gefahren werden, der ist querschnittsgelähmt. Als er drei Jahre alt war, ist er die Treppe runtergefallen.«
    »Und davon kann man…?«, fragte Hannes.
    »Sicher, wenn man unglücklich fällt. Die Operation damals hat auch nichts genützt… der Junge muss sein Leben lang im Rollstuhl sitzen.«
    »Das ist ja schrecklich«, sagte Hannes.
    »Das hätte dir auch passieren können, wenn du vom Dach gefallen wärst. Das kann jedem Menschen passieren. Guck dir mal an, wenn er morgen früh um halb acht abgeholt wird. Du hast doch erst um zehn Schule.«
    Am nächsten Morgen, obwohl Hannes gerne länger geschlafen hätte, lief er in die Silberstraße. Er stellte sich einfach auf die andere Straßenseite gegenüber dem Haus, das ihm seine Mutter beschrieben hatte.
    Ein weiß-blauer Ford Transit fuhr vor, der Fahrer stieg aus, öffnete hinten die beiden Türen und zog eine zweischienige Rampe auf die Straße herunter. In diesem Augenblick öffnete sich die Haustüre und die Frau, die er vom Sehen schon kannte, schob rückwärts über eine Rampe, die aus Beton neben den drei Stufen vor der Haustür gebaut war, den Rollstuhl herunter und über den Bürgersteig auf die Straße. Der Fahrer des Busses half ihr dann, den Rollstuhl mit dem Jungen in den Transit zu schieben.
    Hannes rannte plötzlich über die Straße und rief: »Kann ich helfen?«
    »Dafür bist du viel zu schwach«, antwortete der Fahrer
und band den Rollstuhl mit Lederriemen fest. Im Auto saßen schon einige Kinder, größere und kleinere. Die behinderten Kinder wurden in eine Spezialschule gefahren.
    Hannes fragte den Jungen im Rollstuhl: »Wie heißt du denn?«
    »Kurt. Und du bist Hannes, die Milchstraße, und dich hat die Feuerwehr vom Dach geholt.«
    »Das weißt du?«
    »Ich weiß alles, was in der Siedlung vorgeht«, antwortete Kurt. Dann schloss der Fahrer beide Türen und wenig später fuhr er ab zur Hauptstraße.
    »Na, willst du nicht nach Hause gehen? Hast du heute keine Schule?«, fragte Kurts Mutter.
    »Doch, doch«, antwortete Hannes und lief weg.
    Als er zu Hause angekommen war, sagte er zu seiner Mutter: »Das ist aber schlimm, wenn man nicht laufen kann.«
    »Natürlich ist das schlimm, auch für seine Mutter, weil doch dem Kurt sein Vater Schichtarbeit hat und nicht immer helfen kann… Der Fahrer vom Schulbus muss der Frau dann immer helfen Kurt in die Wohnung zu tragen.«
    »Ob ich ihn mal besuchen kann?«, fragte Hannes.
    »Bestimmt, das wäre jedenfalls besser, als wenn du mit deinen Krokodilern die
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