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Vorhofflimmern

Vorhofflimmern

Titel: Vorhofflimmern
Autoren: Johanna Danninger
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hätte er genau gewusst, dass ich dort saß
und ihn beobachtete.
    Mein Herz blieb stehen.
    Ich war nicht fähig, seinem Blick auszuweichen.
    Seine Miene blieb ausdruckslos. Ich konnte nicht sagen, was
er in diesem Moment empfand oder dachte. Genauso wenig konnte ich sagen, wie
lange wir uns so anstarrten. Mir war, als würde die Zeit stehen bleiben. Nur
seine wehenden Haare verrieten, dass es sich nicht nur um ein tristes Foto von
ihm handelte.
    Einer seiner Kumpels beschwerte sich wohl, denn plötzlich
riss Desiderio sich von meinem Anblick los, sagte etwas zu den Insassen des
Fahrzeugs und stieg ein, ohne noch einmal zu mir zurück zu blicken.
    Der Wagen brauste davon und ich ließ mich kraftlos gegen die
Lehne meines Stuhls fallen.
    Frank musterte mich mitfühlend. „Ihm geht es nicht gut“,
kommentierte er.
    „Nein“, sagte ich schwach und schob abwesend einen
Salzstreuer hin und her.
    „Genauso wenig wie dir.“
    Ich antwortete nicht. Ich konnte mir einfach nicht erklären,
warum Desiderio so schlecht aussah. Schließlich hatte er mich betrogen, und
nicht andersherum. Aber weshalb war er dann so unglücklich? Das passte alles
nicht zusammen.
    Hatte er vielleicht doch ernsthafte Gefühle für mich?
    Oder redete ich mir das jetzt wieder ein, damit ich endlich
wieder neben ihm einschlafen konnte?
    All diese Fragen lasteten schwer auf mir und verwirrten mich
zutiefst. Ich wusste einfach nicht mehr, was richtig oder falsch war.

 
Kapitel 33
    Am Montag trat ich wie erschlagen zum
Spätdienst an. Ein Glück, dass ich diesmal mit Lisa zusammenarbeitete, denn bei
meinem Anblick hätte ich mich vor Sandras psychoanalytischen Blicken kaum mehr
retten können.
    Lisa war da anders. Sie war bestimmt involviert in die
letzten Vorkommnisse meines Lebens, sei es der Überfall, oder das
Techtelmechtel mit Desiderio, aber sie war eher der Auffassung, dass ich schon
von selber anfangen würde, hätte ich über meine Probleme mit ihr sprechen
wollen.
    Mein weiteres Glück war, dass Desiderio viel Arbeit auf der
Station hatte, was ich einem Gespräch zwischen Heimer und Reinmann entnehmen
konnte, weshalb ich vielleicht nicht Gefahr lief, ihn heute noch in der
Ambulanz anzutreffen.
    Seine Schicht war um 16 Uhr zu Ende, was bedeutete, dass ich
über eine Stunde völlig verkrampft durch die Notaufnahme irrte, mit der
ständigen Befürchtung er würde plötzlich doch noch dort auftauchen.
    Obwohl ich wirklich versuchte, meine Arbeit anständig zu verrichten,
fing ich mir immer wieder ein skeptisches Stirnrunzeln von Heimer ein, weil ich
dauernd irgendwelche Kleinigkeiten vergaß, oder abwesend aus dem Fenster
starrte. Das war untypisch für mich, deswegen unterließ der Oberarzt es mich
ernsthaft zu rügen. Wahrscheinlich bemerkte er, dass dies ohnehin keinen Sinn
machen würde.
    Die Uhr zeigte bereits eine Viertelstunde nach Vier an, was
eigentlich bedeutete, dass ich mich entspannen konnte. Desiderio war sicher
schon nach Hause gegangen und ich brauchte keine Angst mehr zu haben, ihm über
den Weg zu laufen.
    Trotzdem hatte mich die innere Unruhe weiterhin im Griff.
    Ich bereitete gerade einen Eingriff in Behandlungsraum 1 vor,
als Lisa mir schüchtern auf die Schulter tippte. „Ähm, Lena?“
    „Hm?“
    Sie reichte mir einen weißen Briefumschlag. „Das hat Desiderio
gerade für dich abgegeben.“
    Ich starrte auf das Kuvert. „Wie bitte?“
    „Der Brief ist für dich. Von Desiderio“, wiederholte sie
langsam, als wäre ich schwer von Begriff.
    Zögernd streckte ich die Hand aus und nahm den Umschlag
entgegen, während ich immer noch darauf starrte.
    Lisa räusperte sich vernehmlich. „Na, los. Geh schon. Ich
mache hier für dich weiter.“
    Ich sah sie fragend an.
    „Du sollst den Brief lesen!“, forderte sie, für ihre
eigentlich so ruhige Art, ziemlich laut.
    Ein wenig erschrocken eilte ich hinaus und sperrte mich auf
der Toilette ein.
    Das weiße Kuvert wirkte unheilvoll. Ich wusste, dass die
darin enthaltenen Zeilen mich bestimmt vollkommen aus der Bahn werfen würden.
Nur in welche Richtung blieb ungewiss.
    Wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich ihn gar nicht erst
öffnen würde. Ich sollte ihn ungelesen durch den Schredder jagen. Genau, das
sollte ich.
    Öffne endlich den Umschlag, du verdammter Schisser!
    Okay.
    Widerstrebend folgte ich meiner inneren Stimme und riss mit
klammen Fingern das Kuvert auf. Ein einfaches, weißes Papier kam zum Vorschein.
Auf Anhieb erkannte ich Desiderios geschwungene,
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