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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag
Autoren: Linda Howard
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er sprang vor und zur Seite, und mit jeder Bewegung des Messers trennte er einem Opfer ein Körperteil ab - ein Ohr, einen Finger, eine Nase. Die beiden brüllten sich die Seele aus dem Leib, bis er schließlich mit ihnen Schluß machte, ihnen hübsch sauber die Kehle aufschlitzte und sie zu Boden fallen ließ. Dann trat er seelenruhig über die reglosen Körper hinweg und ging zu seinen Kameraden, die am Ausgang der Gasse auf ihn warteten. Sein Gesicht war vollkommen reglos.
    Medina war danach allein fortgegangen, hatte jede Gesellschaft abgelehnt, und als er am nächsten Tag wieder auftauchte, war er wieder ganz der alte, freundliche Rick. Die Tötungen hatte er hinter sich gelassen.
    Das war’s, was Medina auszeichnete, dachte Dexter. Er war ein eiskalter Killer, wenn es die Umstände erforderten, aber kein Mörder. So brutal die Exekutionen auch gewesen sein mochten, sie waren nicht mehr als das: Exekutionen. Eine Lehre, die so schnell nicht vergessen werden konnte. Danach genossen die jungen amerikanischen Soldaten ein bißchen mehr Sicherheit, wenn sie sich in den Bars und Bordellen von Saigon amüsierten. Medina wußte, daß er einen persönlichen Preis für die beiden Tötungen bezahlen mußte, und akzeptierte ihn.
    Wo auch immer die moralische Grenze verlaufen mochte, die Medina sich gesetzt hatte, er hatte sie nie überschritten. All seine Tötungen waren gerechtfertigt gewesen. Wenn Dexter darüber nachdachte, dann wurde ihm klar, daß er keinen Menschen auf der Welt so achtete wie Rick Medina. Medina hatte sich an seinen Moralkodex gehalten; er selbst, Dexter, nicht, und er hatte all die Jahre dafür gebüßt.
    Falls ihn überhaupt jemand fangen konnte, dann Medina. Dieses Bewußtsein verlieh der Jagd eine besondere Würze.
    Dexter erhob sich schließlich. Ein Blick in den Sternenhimmel verriet ihm, daß ungefähr zwei Stunden vergangen sein mochten.
    Es war Zeit, seine Aufmachung als Penner loszuwerden. Sie hatte eine ganze Weile funktioniert, doch nun war ihm Medina auf den Fersen. In den Gassen und Suppenküchen würde er als erstes nachsehen, also durfte sich Dexter dort nicht mehr aufhalten. Das war zu schade; Penner genossen eine Anonymität wie keine andere Bevölkerungsschicht, denn die Leute vermieden es bewußt, einen Penner anzusehen. Die Cops verschwendeten auch keine Zeit mit ihnen, und sie wiederum waren kaum geneigt, den Cops etwas auszuplaudern. Es gab andere Verkleidungen, mit deren Hilfe er sich verstecken konnte; der Trick dabei war, sich seiner Umgebung so perfekt wie möglich anzupassen, egal, wie diese auch aussehen mochte.
    New Orleans bot ihm da eine große Auswahl an Möglichkeiten, und Dexter zog mehrere davon in Betracht, während er sich dem Viertel, in dem zu jeder Tages- und Nachtzeit ein reges Treiben herrschte, in einem weiten Bogen näherte. Er kreuzte mehrmals die St. Charles Street, ging immer wieder ein Stück zurück, dann weiter, immer wachsam, bis er schließlich Carondelet erreichte. Die ganze Zeit über beobachtete er dabei seine Umgebung, immer auf der Hut vor einem möglichen Verfolger, sah aber nichts Verdächtiges.
    Nun ging er die Carondelet herunter und kreuzte die Canal, wo die Carondelet zur Bourbon Street wurde. Noch immer schlenderten Touristen übers unebene Pflaster, tauchten aus Restaurants, Kneipen und Stripbars auf. Einige waren ganz offensichtlich betrunken, in der Hand große Plastikbecher mit überschwappendem Bier oder Hurricanes. Mehrere trugen billige Halsketten aus Plastik und Paillettenmasken, obwohl der Mardi Gras schon Monate her war.
    Die Lichter der Bars glitzerten auf den nassen Gehsteigen, und aus den offenen Türen klang laute Jazzmusik, die sich mit den härteren Rhythmen aus den Striplokalen stritt, wo gelangweilte Tänzer und Tänzerinnen die Hüften kreisen ließen, sich an Stangen rieben und taten, als wäre das alles unheimlich sexy.
    Gelächter ertönte aus einer Touristengruppe, drei wohlbetuchte junge Männer, am Arm je eine grell geschminkte Schöne im Cocktailkleidchen. Während Dexter zusah, streifte ein Mann an der Gruppe vorüber und verschwand dann rasch um die nächstgelegene Straßenecke. Dexter vermutete, daß er mindestens einem der jungen Männer die Brieftasche abgenommen hatte. Keiner aus der Gruppe merkte jedoch nur das geringste.
    Es kam ihm vor, als würde er einen Film ansehen, als würde er selbst in einer ganz anderen Welt leben als diese Touristen. Sie schienen ihn überhaupt nicht wahrzunehmen, blickten
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