Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
abfeuern, bevor ihn zwei Kugeln wie Vorschlaghämmer in die Brust trafen und leblos auf dem Straßenpflaster zusammenklappen ließen. Mit blicklos werdenden Augen starrte er noch die drei schattenhaften Gestalten an, die sich über ihn beugten. Benutzt, dachte er haßerfüllt. Reingelegt und benutzt. Blinde Wut durchzuckte ihn und dann nichts mehr.
    Ein Auto hielt am Gehsteigrand, und der Kofferraumdeckel sprang auf. Rasch ergriffen die drei Medinas Leiche und stopften sie in den Kofferraum. Einer dachte noch daran, die 22er mit dem Schalldämpfer aufzuheben und zu der reglosen Gestalt zu werfen; ein anderer klopfte rasch Dexter Whitlaws Taschen ab und beantwortete die fragenden Blicke seiner Kollegen mit einem Kopfschütteln. Dann setzten sie sich ins Auto und fuhren seelenruhig davon, gerade als ein Mann und eine Frau von der Bourbon Street her um die Ecke bogen und langsam auf Dexter Whitlaws reglosen Körper zuschlenderten.
    Das Pärchen erblickte den Mann auf dem Gehsteig, und die Frau zupfte den Mann am Ärmel. »Laß uns einen Bogen um den Betrunkenen machen«, sagte sie. Der Mann, der schon ein paar Hurricanes intus hatte und daher in recht nachgiebiger Stimmung war, pflichtete ihr bei, und sie gingen auf die andere Straßenseite, um der häßlichen Seite des Lebens nicht zu nahe zu kommen.
    Es vergingen weitere dreiundzwanzig Sekunden, bis eine Gruppe von vier jungen Frauen kichernd und leicht angetrunken auf hohen Absätzen dahergestöckelt kam und feststellte, daß der Mann, der auf dem Gehsteig der St. Ann Street lag, ein Loch in der Stirn hatte. Der Spaß, mit dem sie noch vor wenigen Minuten den männlichen Stripper in der Bar angefeuert hatten, fand ein jähes Ende.
    Ihre schrillen Schreie zerrissen die von der Bourbon Street herüberdringende Musik und das Gelächter. Köpfe wurden neugierig herumgedreht. Ein paar Männer liefen spontan los, aufgeschreckt durch die Hilferufe der Frauen. Andere folgten, was die Aufmerksamkeit der berittenen Polizisten erregte.
    Wäre Dexter Whitlaw noch am Leben gewesen, er hätte ihnen sagen können, daß dreiundzwanzig Sekunden eine kleine Ewigkeit sind, wenn es Spitz auf Knopf steht. Dann sind Zeugen verschwunden, Autos wie vom Erdboden verschluckt, Gelegenheiten verpaßt, und die Zeit wäscht all die vergänglichen Spuren hinfort, die der Mensch hinterläßt.

4
    »Shit.«
    Detective Marc Chastain rieb sich übers unrasierte Gesicht und fühlte die Stoppeln. Er gähnte und nippte an dem Becher mit heißem Kaffee, den ihm ein Streifenpolizist gereicht hatte. Es war drei Uhr morgens, was bedeutete, daß er knapp drei Stunden Schlaf gehabt hatte. Er war geneigt, ein wenig gereizt zu sein, beherrschte sich jedoch, da er zu diszipliniert war, um sich von einer Kleinigkeit wie Schlafmangel von seinem Job ablenken zu lassen. Er konnte den Schlaf ja in der nächsten oder übernächsten Nacht nachholen, der arme Schlucker, der auf dem aufgesprungenen Pflaster lag, konnte das nicht.
    Einer der Nachteile, wenn man im Viertel wohnte - einmal abgesehen von uralten Strom- und noch älteren Wasserleitungen -, bestand darin, daß man gewöhnlich als erster am Schauplatz war, wenn hier etwas passierte, was bedeutete, daß es automatisch sein Fall wurde. Verflucht noch mal, er war zu Fuß herspaziert und war trotzdem ganze zwei Minuten früher dran als der nächste Detective.
    Aber so mies er sich auch fühlen mochte, er war immer noch besser dran als der Obdachlose auf dem Gehsteig, bei dem allmählich die Leichenstarre einzutreten begann. Er blinzelte mit geröteten Augen und kritzelte eifrig Notizen auf seinen Block.
    Das Opfer war etwa eins achtzig groß, wog zirka neunzig Kilo. Alter so zwischen fünfzig und fünfundfünzig. Graues Haar, braune Augen. Er lag verdreht, halb auf der rechten Seite, den rechten Arm hinter dem Rücken; der Arm hatte verhindert, daß er flach auf den Rücken gesunken war. Ein sauberes kleines Loch prangte auf seiner Stirn, doch es gab keine Austrittswunde am Hinterkopf, was bedeutete, daß die Kugel noch im Hirn steckte. Eine 22er, dachte Marc. Die Waffe besaß nicht genug Schußkraft, um den Schädel zweimal zu durchschlagen, also war die Bleikugel im Gehirn steckengeblieben, wo sie herumwirbelte und das Gewebe verheerend zerstörte. Es war fast kein Blut zu sehen, was bedeutete, daß das Opfer sofort tot gewesen war. Profis benutzten 22er, doch war dies leider auch die billigste und am leichtesten erhältliche Handfeuerwaffe, was sie zum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher