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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag
Autoren: Linda Howard
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Abfälle, zerbrochene Bierflaschen, ein stinkendes Häufchen Müll, zu klein, als daß sich ein Mensch dahinter hätte verstecken können. Doch genau das war der Fall. Es hatte zuvor geregnet; auf den Straßen schimmerten Pfützen. Sämtliche leere Schachteln, die noch wenige Stunden zuvor in der Gasse herumgelegen haben mochten, waren nun verschwunden, um Bedürftigen Schutz vor dem
    Regen zu gewähren. Einem gewöhnlichen Bluthund mußte die Gasse leer und verlassen erscheinen, aber Medina war kein gewöhnlicher Bluthund; auch er hatte sein Training in Vietnam durchlaufen, also verstand auch er sich in der Kunst, geduldig zu warten, bis das Opfer einen Fehler macht.
    Nun, in diesem Fall würde er lange warten müssen, dachte Dexter fröhlich. Dexter Whitlaw machte keine Fehler, nicht in dieser Sache jedenfalls. Er mochte ja alles andere in seinem Leben vermasselt haben, aber er war ein erstklassiger Jäger. Also wartete er, selbst nachdem die schlurfenden Schritte längst verhallt und andere Schritte gekommen und verklungen waren. Eine Ratte schnüffelte an seinen Schuhen, doch er verharrte regungslos. Nach einer Weile wurde er belohnt, dieselben schlurfenden Schritte waren zu hören, und wieder pausierten sie am Eingang zur engen Gasse. Der Jäger wollte sehen, ob die Gasse noch genauso aussah wie vorher oder ob sich eventuell etwas verändert hatte. Nichts hatte sich verändert. Zufrieden darüber, daß sein Opfer hier nicht zu finden war, ging der Jäger wieder mit demselben Schlurfen, denn ein guter Jäger gibt niemals seine Tarnung auf.
    Der schlurfende Gang hätte vielleicht einen anderen getäuscht, nicht aber Dexter, der Medina einmal dabei beobachtet hatte, wie er mit demselben betrunkenen Schlurfen zwei Schläger in einer Kneipe in Saigon köderte. Sie hatten sich in der falschen Sicherheit gewogen, der Yankee wäre viel zu besoffen, um sich gegen sie wehren zu können. Den beiden, die sich auf betrunkene amerikanische Soldaten spezialisiert hatten, machte es Spaß, die hilflosen Jungen zu verprügeln, nachdem sie ihnen das Geld abgenommen hatten. In der Woche zuvor war ein junger Soldat an seinen inneren Verletzungen gestorben, und einige Amerikaner hat-ten mit einer erbarmungslosen Suche nach den beiden Vietnamesen begonnen.
    Als derjenige, der die beiden aufgespürt und identifiziert hatte, gebührte Rick Medina die Ehre, sie sich vorzuknöpfen. Zwei saubere Kopfschüsse, und die Sache wäre erledigt gewesen, aber Medina wollte die beiden ein wenig zappeln lassen.
    Medina sah aus wie ein typischer sauberer amerikanischer Durchschnittsjunge, schlank und gutaussehend, das braune Haar im kurzen Bürstenschnitt, die Kleidung immer sauber und gebügelt, selbst bei der unerträglichen Schwüle, die dort herrschte. Er war intelligent und immer freundlich - fast immer, jedenfalls. Wenn ihm etwas stank oder wenn er arbeitete, dann verschwand diese Freundlichkeit, als hätte sie nie existiert, und in seinen leuchtenden blauen Augen stand auf einmal das kalte Funkeln eines Killers.
    Medina lockte die beiden Vietnamesen aus der Kneipe in eine dunkle Seitengasse; sie machten nicht mal den Versuch zu verbergen, daß sie ihn verfolgten, so sicher waren sie sich seiner Wehrlosigkeit. Sie näherten sich ihm wie Bluthunde einem Kaninchen, aber in letzter Sekunde wirbelte das Kaninchen herum, jedes Anzeichen von Trunkenheit war verschwunden. Das Messer in seiner Hand hatte eine geschwärzte Klinge, damit sie nicht reflektierte. Wahrscheinlich sahen es die beiden Vietnamesen gar nicht richtig. Sie konnten nur spüren, was es anrichtete, und was sie spürten, war ein scharfer, brennender Schmerz, der an verschiedenen Stellen ihrer Körper aufloderte, Feuer, das Medinas blitzschnelle Hände entfachten, Schnitte, die nie tief genug gingen, um zu töten - noch nicht, jedenfalls. Medina zerschlitzte die beiden im wahrsten Sinne des Wortes, wobei er die ganze Zeit über in ihrer Sprache auf sie einflüsterte, damit sie auch wußten, was geschah und warum.
    Sie versuchten zu fliehen, fanden den Ausgang der Gasse jedoch von mehreren Amerikanern mit unbewegten Gesichtern und Pistolen in den Händen blockiert. Da wußten sie, daß sie in der Falle saßen, und gerieten in Panik. In ihrer Hysterie hielten sie Medina für weniger gefährlich und machten sich wieder über ihn her. Ein tödlicher Fehler.
    Rick Medina arbeitete an jenem Abend wie eine Präzisionsmaschine, ein regelrechter Gemüsezerkleinerer. Er stach und er schlitzte,
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