Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
geschah sehr schnell, sämtliche wichtigen Organe fielen eines nach dem anderen aus, weil der Körper nicht mehr genug Sauerstoff bekam. Jeanette starb trotz der panischen Bemühungen der Ärzte nur vier Stunden nach ihrem Eintreffen im Krankenhaus.
    Es gab so vieles zu bedenken, wenn jemand starb. Formulare waren auszufüllen und zu unterschreiben und mußten bei dieser oder jener Behörde abgegeben werden. Anrufe mußten getätigt, Entscheidungen gefällt werden. Sie mußte sich ein Beerdigungsinstitut suchen, eine Bestattungsfeier organisieren, einen Sarg auswählen und auch die Sachen, in denen ihre Mutter beerdigt werden sollte. Und dann der Besuch, o Gott, all der Besuch: Freunde und Bekannte ihrer Mutter, die mit Essen vorbeikamen, das sie nie im Leben aufessen konnte, und dann auch noch ihre eigenen Arbeitskollegen und die Nachbarn. Ihre Kehle war wie zugeschnürt gewesen, die ganze Zeit über, ihre Augen rot und entzündet. Sie konnte nicht weinen, vor all diesen Leuten, erst nachts, da schien sie mit dem Weinen gar nicht mehr aufhören zu können.
    Irgendwie stand sie die Beerdigung durch, und obwohl sie solche Feiern immer für barbarisch gehalten hatte, verstand sie nun, wozu solche Bräuche dienten, sie verstand, daß sie einem halfen, Abschied zu nehmen, einen Schlußstrich zu ziehen. Sie alle nahmen Abschied von einer herzensguten Frau, die nie viel vom Leben verlangte, die sich immer mit dem zufriedengab, was sie hatte. Mit Gebeten und geistlichen Liedern gedachten sie dieses einfachen, schlichten Lebens, das nun vorbei war.
    Seitdem lebte Karen nur noch von einem Tag zum anderen. Ihr Kummer war groß und noch ganz frisch, und sie verlor jedes Interesse an ihrer Arbeit. So lange waren sie und Jeanette ein Team gewesen, sie beide gegen den Rest der Welt. Zuerst war Jeanette arbeiten gegangen, hatte jede Arbeit angenommen, die sie kriegen konnte, damit sie beide ein Dach über dem Kopf hatten und Karen eine gute Ausbildung bekam. Dann war es Karen, die arbeiten ging und Jeanette, die frei hatte, die endlich tun konnte, was sie am liebsten tat: In ihrem kleinen Heim herumwursteln, kochen, Wäsche waschen, den Haushalt machen, das Nest schaffen, das ihnen die Umstände bisher immer verwehrt hatten.
    Aber das alles war jetzt unwiederbringlich vorbei. Alles, was Karen geblieben war, war ein leeres Haus, und sie wußte, daß sie nicht länger hier wohnen bleiben konnte. Heute hatte sie sich endlich einen Ruck gegeben und einen Makler angerufen, der das Haus zum Verkauf ausschrieb. Besser in einem Apartment leben, als jeden Abend in ein leeres Haus heimkehren müssen, zu den Erinnerungen.
    Das Päckchen war nicht schwer. Karen hielt es unter einen Arm geklemmt, während sie die Tür zustieß und dann absperrte. Anschließend ließ sie die schwere Tasche von der Schulter auf einen Sessel plumpsen und hielt das Päckchen unters Licht, um den Absender lesen zu können. Es gab keinen, aber der Name ihrer Mutter traf sie wie ein Keulenschlag. »JEANETTE WHITLAW« stand da in ordentlichen Druckbuchstaben. Ihr Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Jeanette hatte nur selten etwas bestellt, aber wenn sie es tat, dann benahm sie sich immer wie ein Kind vor der Weihnachtsbescherung, aufgeregt wartend, bis die Post oder ein Lieferservice kam, und wenn er dann kam, strahlte sie immer übers ganze Gesicht.
    Karen brachte das Päckchen in die Küche und schnitt das
    Paketband mit einem Messer auf. Sie öffnete die Klappen und sah hinein. Ein paar Papiere befanden sich darin und ein kleines Büchlein, das mit Gummis zusammengehalten wurde. Ganz oben lag ein zusammengefaltetes Stück Papier. Sie nahm es aus der Schachtel, entfaltete es und warf automatisch einen Blick auf die Fußzeile, um zu sehen, wer der Absender war. Als sie den gekritzelten Namen »Dex« las, ließ sie den Zettel ungelesen ins Päckchen zurückfallen.
    Der gute alte Dad. Jeanette hatte seit mindestens vier Jahren nichts mehr von ihm gehört. Karen selbst hatte seit ihrem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hatte damals angerufen, um ihr zu ihrem Geburtstag zu gratulieren, doch er war betrunken gewesen, und es war nicht mal annähernd ihr Geburtstag. Jeanette weinte danach die ganze Nacht lang. An diesem Tag verwandelten sich Karens Groll und Verwirrung in Haß, und wenn sie danach zu Hause war, die paarmal, die er anrief, weigerte sie sich strikt, mit ihm zu sprechen. Jeanette hatte das großen Kummer bereitet, aber so, wie Karen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher