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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo
Autoren: Stone
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lange, bis sein Hemdkragen durchnässt war und seine Augen verquollen.
    Auf dem Weg zurück nach Rikers beschloss er, die Reise zu machen, mit deren Planung Sandra die letzten Monate ihres Lebens zugebracht hatte. Teils ihr zu Ehren, teils, um all die Orte zu sehen, die sie nun nicht mehr sehen würde, teils, um ihren Traum zu leben, und vor allem, weil er nicht wusste, was er sonst mit sich anfangen sollte.

    Sein Anwalt Dave Torres nahm ihn vor den Gefängnistoren in Empfang und fuhr ihn zum Avalon Rex, einem kleinen, billigen Hotel in Brooklyn, wenige Blocks vom Prospect Park entfernt. Das Zimmer war für zwei Tage und zwei Nächte gemietet, danach würde er von JFK aus nach England fliegen.
    Torres überreichte ihm die Tickets, seinen Reisepass, dreitausend Dollar in bar und zwei Kreditkarten. Max dankte ihm für alles, und sie gaben sich zum Abschied die Hand.
    Als er gegangen war, öffnete Max als Erstes die Tür, trat auf den Flur hinaus, ging wieder zurück ins Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Das gefiel ihm so gut, dass er es gleich noch mal machte, und noch mal, ein halbes Dutzend Mal, bis er sich halbwegs an die neue Freiheit gewöhnt hatte, kommen und gehen zu können, wie er wollte. Danach zog er sich aus und betrachtete sich in dem Spiegel im Kleiderschrank.
    Er hatte sich nicht mehr nackt im Spiegel gesehen, mit nichts bekleidet als seinen beiden Tattoos, seit er zuletzt ein freier Mann gewesen war. Acht Jahre waren seither vergangen, und er sah vom Hals an abwärts immer noch ganz gut aus. Breite Schultern und muskulöse Oberarme, dicke Unterarme, der Nacken breit und kurz, Waschbrettbauch, kräftige Oberschenkel. Eingeölt und im Posing-String hätte er locker den Mister-Knast-Pokal gewinnen können. Bodybuilding im Gefängnis war eine Kunst. Es hatte nichts mit Eitelkeit oder Fitness zu tun. Es ging ums Überleben. Wer einen ordentlichen Schatten warf, dem gingen die Leute aus dem Weg. Aber zu sehr sollte man sich auch nicht aufpumpen, um nicht aufzufallen und sich den Neuzugängen, die sich noch einen Ruf zu erwerben hatten, als Zielscheibe anzubieten. Nichts war lächerlicher als ein Knastkoloss, der an einer geschliffenen Zahnbürste verreckte, die man ihm in die Drosselvene gerammt hatte. Max war schon vor seiner Zeit im Knast ziemlich fit gewesen. Als Jugendlicher war er dreimal Golden-Gloves-Champion im Mittelgewicht geworden, und er hatte sich mit Laufen, Schwimmen und Boxtraining in Form gehalten. In Rikers hatte er täglich eine halbe Stunde trainieren dürfen. Sechs Tage die Woche hatte er in die Eisen gegriffen, einen Tag Oberkörper, einen Tag Beine. Außerdem jeden Morgen in der Zelle dreitausend Liegestützen und Situps, fünfhundert pro Satz.
    Er sah also immer noch gut aus, auf jene derbe und brutale Art, die unweigerlich Frauen und Schwule mit einem Faible für harten Sex und Kamikaze-Beziehungen anzog. Nur sein Gesicht hatte sich verändert. Die Haut war straff, aber faltig und vom Mangel an Sonnenlicht fast gespenstisch wächsern geworden. Die kleinen Narben um den Mund herum waren verblasst. Da war eine neue Bosheit in seinen blauen Augen, und ein verbitterter Zug um den Mund, den er von seiner Mutter kannte. Genau wie er war sie zu Beginn ihres Lebensherbstes allein gelassen worden. Und genau im gleichen Alter wie bei ihr waren auch seine Haare komplett grau geworden. Den Übergang von dem Dunkelbraun, mit dem er in den Knast gegangen war, hatte er nicht bemerkt, weil er sich dort immer kahlrasiert hatte, um noch einschüchternder auszusehen. Erst in den letzten zwei Wochen vor seiner Entlassung hatte er sich die Haare wachsen lassen – ein Fehler, den er korrigieren würde, bevor er die Stadt verließ.
    Am nächsten Morgen ging er nach draußen. Er musste sich einen warmen Wintermantel und ein Jackett kaufen, und wenn er sein Altmännerhaar loswerden wollte, brauchte er eine Mütze. Es war ein strahlend blauer, eisig kalter Tag. Die Luft brannte ihm in den Lungen. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen. Und plötzlich kam er sich in dieser morgendlichen Rushhour verloren vor. Eigentlich hätte er darauf gefasst sein müssen, trotzdem fühlte er sich, als wäre er gegen seinen Willen von einem anderen Planeten hierhergebeamt worden. Sieben Jahre stürzten mit Wucht auf ihn ein. Alles hatte sich verändert: die Mode und die Frisuren, der Gang der Leute, ihre Gesichter, die Marken, Preise und Sprachen. Zu viel, um alles aufnehmen und verarbeiten zu können. Zu viel
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