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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo
Autoren: Stone
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Menschen. Ständig ging sie in die neuesten Ausstellungen, besuchte Vorträge und Seminare und las ununterbrochen – Zeitschriften, Zeitungen und ein Buch nach dem anderen. Sie zeigte Max Fotos von Indios, die einen Pizzateller auf der Unterlippe transportieren konnten, und von Afrikanerinnen mit industriell gefertigten Spiralfedern um den giraffenartigen Hals, aber er begriff einfach nicht, was daran so spannend sein sollte. Er war in Mexiko gewesen, auf den Bahamas, in Hawaii und in Kanada, aber seine Welt waren die USA, und die waren groß genug. Hier gab es Wüsten, arktische Schneelandschaften und so ungefähr alles dazwischen. Wozu reisen und sich genau das Gleiche, nur älter, anderswo ansehen?
    Seine Frau hieß Sandra. Er hatte sie kennengelernt, als er noch bei der Polizei gewesen war. Sie war halb Kubanerin, halb Afroamerikanerin. Sie war schön, klug, stark und witzig. Er sagte niemals Sandy zu ihr.
    Sandra hatte ihren zehnten Hochzeitstag angemessen begehen wollen, wollte um die Welt reisen und alles sehen, was sie bisher nur aus Büchern kannte. Unter anderen Umständen hätte Max sie wahrscheinlich dazu überredet, eine Woche auf die Keys zu fahren und später eine bescheidene Auslandsreise nach Europa oder Australien zu unternehmen. Aber weil er im Knast saß, als sie ihm von ihren Plänen erzählte, konnte er einfach nicht Nein sagen. Und von seiner Zelle aus erschien ihm die Aussicht, ganz weit weg von Amerika zu sein, gar nicht so unattraktiv. Ein Jahr auf Reisen würde ihm Zeit geben, sich Gedanken darüber zu machen, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte.
    Vier Monate hatte Sandra damit verbracht, die Reise zu planen und zu buchen. Die Route war so ausgeklügelt, dass sie auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Abreise wieder an ihrem Hochzeitstag in Miami ankommen würden.
    Je mehr sie Max bei ihren wöchentlichen Besuchen von der Reise erzählt hatte, umso mehr hatte auch er sich darauf gefreut. Er hatte sich sogar in der Gefängnisbibliothek über die Orte informiert, die sie bereisen würden.
    Die letzte Rechnung für die Reise hatte sie an dem Tag beglichen, an dem sie bei einem Autounfall auf der US 1 ums Leben kam. Offenbar hatte sie aus unerfindlichen Gründen unvermittelt die Spur gewechselt und war mit voller Geschwindigkeit auf einen Laster aufgefahren. Bei der Autopsie wurde dann das Hirnaneurysma entdeckt, an dem sie am Steuer gestorben war.
    Der Gefängnisdirektor hatte ihm die Nachricht überbracht. Max war zu geschockt gewesen, um zu reagieren. Er hatte ohne ein Wort genickt, war aus dem Büro des Direktors gegangen und hatte den Rest des Tages zugebracht, als wäre nichts passiert, hatte die Küche geputzt, das Essen ausgegeben, die Tabletts in die Spülmaschine geräumt, den Fußboden gewischt. Zu Velasquez hatte er kein Wort gesagt. Trauer oder eine andere Gefühlsregung außer Wut zu zeigen war ein Zeichen von Schwäche. So etwas behielt man für sich.
    Erst am nächsten Tag, einem Donnerstag, war ihm klar geworden, dass Sandra wirklich tot war. Donnerstag war ihr Besuchstag. Sie hatte nie einen einzigen ausfallen lassen. Sie war immer einen Tag vorher hergeflogen, hatte bei einer Tante in Queens übernachtet und war dann zu ihm gekommen. Gegen vierzehn Uhr, wenn er in der Küche gerade fertig war oder noch mit Henry, dem Koch, quatschte, war er ins Besuchszimmer gerufen worden. Dort hatte sie hinter der Glasscheibe gesessen und auf ihn gewartet. Immer makellos gekleidet, immer frisch geschminkt und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
    Henry und Max hatten eine Abmachung. Donnerstags ließ Henry ihn weitgehend in Ruhe und teilte ihm nur Aufgaben zu, die schnell zu erledigen waren, sodass er abhauen konnte, sobald sein Name ausgerufen wurde. Sonntags war dann Max an der Reihe, weil dann Henrys Frau und seine vier Kinder zu Besuch kamen. Die beiden kamen gut miteinander klar, weshalb Max ignorierte, dass Henry fünfzehn Jahre bis lebenslänglich wegen eines bewaffneten Raubüberfalls absaß, bei dem eine Schwangere getötet worden war, und dass er zum Arier-Bund gehörte.
    Nach außen hin lief an jenem Donnerstag alles wie immer. Nur dass Max mit einem drückenden Schmerz in der Brust und einem Gefühl der Leere aufgewacht war, das immer unerträglicher wurde. Er wollte Henry sagen, dass seine Frau diese Woche nicht kommen würde, und sich das Warum bis zur nächsten Woche aufsparen. Aber er brachte es nicht fertig, weil er wusste, dass er wahrscheinlich in Tränen
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