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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle
Autoren: Berndt Rieger
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vom Bann der Schlange befreien. Während in mir dergleichen Gedanken kreisten und ich zunehmend die Erregung, die alle erfasst hatte, in mir hoch kriechen spürte, war auch schon der entscheidende Moment gekommen. Das Tier raste vor dem Spiegel, mit so schnellen Bewegungen, dass es schien, als folge ihr Schwanz, auf dem sie ruhte und von dem aus sie sich hoch reckte, dem Kopf und sie tauschten den Platz. Einmal war sie links auf dem Altarstein zu sehen, dann, wie von einer optischen Illusion, blitzte sie rechts auf, malte Buchstaben in die Luft, Zeichen, schien sich in Rage auflösen zu wollen und dann, plötzlich, schnellte die kauernde Gestalt meines Bruders so rasch, dass man erst am kraftlos zu Boden sackenden schwarzen Schlauch der Schlange erkannte, dass sie von der Klinge des Schwertes in zwei Teile geteilt worden war, auf den Altar zu und führte den Schwerthieb, auf den alle gewartet hatten. Nach einer Schrecksekunde, in der die Musik noch kreischte und stampfte, folgte ein Laut voller Lust und Schmerz wie von Besinnungslosen, die zwischen dem einen und dem anderen nicht zu unterscheiden wissen, und dann trat vollkommene Stille ein, während sich dem Blutgeruch ein neuer Duft beimischte, den eindeutig die Schlange verströmte, beziehungsweise ihr Inneres, denn das schnitt ihr Mörder auf. Das Tier mochte für diese Kulthandlung präpariert worden sein, denn es war ein ungewöhnlich lieblicher Duft, den man nie und nimmer im Inneren eines frischen Kadavers vermutet hätte, und so unmittelbar, dass man unwillkürlich davon lächelte und sanftmütig wurde. So schien es allen zu gehen, die mich umstanden, es waren Wohllaute, die sie ausstießen, freudige Rufe, die von himmlischen Gefühlen kündeten, und ich fühlte ebenso. Es war die Empfindung von Freundschaft, Frieden, Aufgehobensein, und als nun mein Bruder vor den Altar trat, empfingen ihn Hochrufe, obwohl sein Aussehen eigentlich erschreckend, abstoßend, unwirklich war. Er war nackt, und er hatte auch seine Maske abgelegt, um in die Schlangenhaut zu schlüpfen, die er dem toten Tier geraubt hatte. Ganz oben am Kopf thronte ihr Haupt, reckte die Zähne gegen uns, die Gemeinde, und seine Schultern zierte ihr kräftiger Hals, der sich eben noch vor Aggression gebläht hatte. Ihren Schwanz hatte er sich wie eine zweite Haut über den Stamm gestreift und zwei Löcher für seine Beine hinein geschnitten, sodass ich an eine stehende Eidechse erinnert war. Von ihm selbst sah man eigentlich nur den Bauch, der vom Lachen zuckte, ja, er lachte, man konnte es im Lärm nicht hören, aber man sah es an seinem triumphierenden Gesicht, dass er die Probe bestanden hatte und gekräftigt und trunken vom Lebenssaft des Kelches, zum König seines Volkes geworden war.
     
    Es mochte eine Weile vergangen sein, als ich wieder erwachte, oder auch nur Sekunden. dass ich ohnmächtig geworden war, merkte ich erst jetzt. Ich fühlte mich schwach, und als ich mich schwerfällig auf dem Boden umdrehte, stellte ich fest, dass man mich in der Kammer mit den Toten allein gelassen hatte. Die weißen Balken der Lebenden, die eben noch die Mauern gestützt hatten, fehlten, und der Altarraum war nun nichts mehr als eine stinkende Höhle, ein Abort, ein Gebeinhaus. Ich merkte, dass mir die Klammer des Todes den Atem raubte und rappelte mich hoch. Auf dem Altar brannten noch Kerzen, doch der Spiegel war blind geworden und der liebliche, himmlische Duft, der mich eben noch berauscht und mir die Sinne geraubt hatte, war abgestanden und schal. Nur ein fernes Wispern bewies, dass es die Außenwelt überhaupt gab, aber es konnte auch eine seelenlose Bewegung sein, wie das Klappern und Pochen eines Fensterflügels in einem verlassenen Haus. Nein, es war etwas Belebtes, das diese Laute verursachte. Ich ging in dem Raum auf und ab, mit Füßen, die vom Blut klebten, und wandte mich schließlich zur Tür und kam ins Freie. Ja, hier war es weit lauter zu hören, vernehmlich wie zuvor, als ich es noch für ein Geräusch des Windes gehalten hatte. Diesmal aber drang es aus der rechten Tür des Tempels, und ich verstand, dass nun eine andere Stunde geschlagen hatte und die gleiche Prüfung, die mein Bruder so eindrucksvoll gemeistert hatte, nun mir bevorstehen würde. Der Gedanke brachte mein Herz in Trab und ließ mir das Blut in den Ohren pochen, während ich erschöpft an der Mauer lehnte. Ich fühlte mich dieser Anforderung nicht gewachsen, ich wusste nicht einmal, wie man ein Schwert führt. Doch die
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