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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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Schön. Aber zuerst muss ich den Weg finden, ich muss ja
wissen, wo ich zu laufen habe. In meinem Wanderführer ist ein Stadtplan
von Logroño abgedruckt, allerdings befindet sich der Busbahnhof außerhalb des
Kartenausschnitts. Ganz ruhig, Maori. Ein genauerer Blick auf die Karte verrät
immerhin, dass der Busbahnhof südlich des Stadtplanausschnitts liegt. Da zeigt
ein Bus-Piktogramm eindeutig nach unten. Im Umkehrschluss bedeutet es also,
dass ich vom Busbahnhof aus nach Norden muss, um in die abgebildete Karte
hineinzulaufen. Langsam kommen wir der Sache näher. So, und wo ist bitteschön
der Norden? Den Minikompass habe ich aus Gewichtsgründen einfach zu Hause
gelassen, Mist. Ich bin noch keinen einzigen Kilometer gelaufen und schwitze
schon wie Sau. Schwitzen? Hitze? Sonne! Ich orientiere mich einfach am Stand
der Sonne. Zu meiner Erleichterung erreiche ich nach wenigen Minuten
tatsächlich eine Straßenkreuzung, die ich in meinem Wanderführer wiederfinde.
Am Rande einer kleinen Parkanlage entdecke ich ein Tourismusbüro. Der nette
junge Herr am Schalter erklärt allerdings etwas zu genau, so dass ich mich
prompt verlaufe. Anstatt geradeaus zu gehen, biege ich links ab und umgehe die
komplette Altstadt. Nur durch Zufall entdecke ich einen riesengroßen
Muschelwegweiser, der in den Boden eingelassen ist. Ausgezeichnet, den Camino
habe ich also schon mal gefunden. Jetzt müsste ich eigentlich nur den
Wegweisern folgen, schließlich liegt die Herberge direkt am Weg. Allerdings
gerade ich nach wenigen Metern in eine spanische und somit temperamentvolle
Hochzeitsgesellschaft, um anschließend vor einem Bauzaun zu stehen und
festzustellen: Der Camino ist gesperrt. Das geht ja schon mal hervorragend los.
Erst nach einem riesigen Umweg und dank der Hilfe eines netten Pilgers finde
ich zur städtischen Herberge. Auf dem Hof sitzen weitere Pilger und trinken
Dosenbier; der San-Miguel-Automat spuckt im Akkordtempo. Im Erdgeschoss sieht
es ein wenig behördlich und trist aus, der Platz des Herbergsvaters erinnert an
die improvisierte Kasse für eine Schulaufführung. Ich erkläre dem netten
Herbergsvater (spanisch: hospitalero , weibliches Pendant: hospitalera), dass dies mein erster Tag sei, was eigentlich völlig überflüssig ist, denn mein
Pilgerpass ist ja leer. Das wird nun feierlich geändert, und der
unkonventionell gekleidete Hippie drückt mir den ersten Stempel in den credencial
del peregrino. Danach bekomme ich ein Bett zugeteilt, mir wird erklärt, ich
müsse ab morgen meine Schuhe immer außerhalb der Schlafräume abstellen, aus
hygienischen Gründen, natürlich. Heute aber darf ich mit meinen jungfräulichen
Wanderschuhen in den dritten Stock. Ich weiß nicht so recht, wie alles läuft,
fühle mich unbehaglich, um mich herum, wuseln die routinierten Pilger aus
Saint-Jean-Pied-de-Port, Roncesvalles, Pamplona, jeder Handgriff sitzt, jeder
Gruß wird locker aus der Hüfte abgefeuert, ich werde einfach mal ignoriert. Im
Schlafraum herrscht klinischer Bundeswehr-Charme, neun quietschende
Metallstockbetten, auf den ersten Blick immerhin sauber. Sehr sauber. Jedes
Leben wurde aus dem Raum poliert.
    Obwohl es bereits kurz nach
achtzehn Uhr ist, sind noch einige Schlafplätze frei. Beim Frischmachen im Bad
treffe ich einen Fahrradpilger aus Dortmund. Ob ihn mein Schalke-Trikot
angezogen hat? Ich erzähle ihm, dass es mein erster Tag sei, er macht mir Mut,
wünscht mir Glück und einen schönen Weg, einen buen camino. Zurück im
Schlafraum, breite ich nichts Böses ahnend meine Sachen auf dem Bett aus. Im
nächsten Moment werde ich von einer älteren Dame mit weißem Hut streng ermahnt,
ich solle doch bitte meine Wanderschuhe im Erdgeschoss lassen. Erst auf
Englisch, anschließend auf Spanisch mit britischem Akzent, was mich gerade
einfach mal komplett überfordert. Dass mir der hospitalero gestattet
hat, mit den noch sauberen Schuhen das Zimmer zu betreten, scheint sie nicht zu
interessieren. Als ich aus Mangel an englischer Schlagfertigkeit mit einem
lapidaren »Okay, okay« antworte, raunt aus dem Hintergrund ein Deutscher: »Nix
okay.« Na, wen haben wir denn da? Einen deutschen Klugscheißer, wie
erfrischend. Einen, der auszog, um den ramponierten Ruf des Deutschen in aller
Welt mit gnadenloser Entschlossenheit zu betonieren. Obwohl mir mehrere
undiplomatische Antwortoptionen durch den Kopf schießen, bremse ich mich und
denke mir: Nicht heute. Nicht gleich am ersten Tag. Ich ignoriere sie alle
komplett und
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