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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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Handtasche. Zweite im Bunde ist Michelle aus
Kalifornien, siebenundfünfzig Jahre, US-Bürgerin, ein wenig verstreut. Sie
dokumentiert die gesamte Reise per Kamera und PDA und verschickt jeden Abend
einen Camino-Newsletter an Freunde und Bekannte. Ihr Rucksack wiegt stattliche
dreizehn Kilogramm, und ich komme mir mit meinem dreieinhalb Kilogramm leichten
Bündel auf dem Rücken ein wenig luschig vor. Nummer drei der Damenbande ist
Melanie aus der Nähe von Mönchengladbach, siebenundzwanzig Jahre jung,
Studentin in Köln, die ich mit ihren langen, dunkelbraunen Locken auf den
ersten Blick für eine Spanierin gehalten habe. Außerdem noch dabei: eine junge
Koreanerin, deren Namen ich beim besten Willen nicht verstehe. Nachdem ich
sechsmal nachgefragt und ihn immer noch nicht verstanden habe, wird es uns
beiden peinlich, und wir schweigen. Sie alle wollen in die nächste Bar, um zu
frühstücken, und bestehen darauf, dass ich mich ihnen anschließe. Mein Magen
und ich erklären uns natürlich sofort einverstanden. Dreizehn Kilometer durch
diese Hitze vor dem Frühstück hätte ich mir vor wenigen Wochen beim besten
Willen nicht zugetraut.
     
    Mit meinem ersten café con
leche (deutsch: Milchkaffee) und meinem ersten bocadillo (belegtes
Brötchen) gestärkt, geht es weiter Richtung Ventosa. Erneut führt der Weg durch
weitläufige Weinberglandschaften. Hier werden die Reben der berühmten wie
ausgezeichneten Ríoja-Weine angebaut. Den Großteil der Strecke lege ich mit
Michelle zurück. Wir laufen in einem ähnlichen Rhythmus und nutzen die Zeit, um
uns ein wenig kennen zu lernen. Mit der Pilgerreise, so die Kalifornierin, gehe
ein Lebenstraum in Erfüllung. Und so wirkt sie auch: Auf jedem Meter des Weges
findet sie garantiert etwas, was sie außerordentlich bewundernswert findet.
Permanent zückt sie ihre ziemlich klotzige Digitalkamera und fotografiert. Wie
eine meiner Tanten, denke ich. Als wir eine winzige Hütte passieren, die mitten
in einem Rebenfeld steht, ertönt aus dem Inneren ein merkwürdig klingendes
Blasinstrument. Michelle und ich blicken uns ratlos an und stellen gleichzeitig
die Frage: »Was ist das?!« Auf die Idee nachzusehen kommen wir nicht.
Stattdessen versuchen wir, mein eingerostetes Schulenglisch in Gang zu bringen.
    So schnell geht das: Heute
Morgen fühlte ich mich noch fremd und allein, lediglich drei Stunden später
habe ich mich als ständiges Mitglied einer Pilgergruppe etabliert. Als wären
wir seit Tagen gemeinsam unterwegs. Um kurz vor vierzehn Uhr erreichen wir das
malerische Dörfchen Ventosa, eine überschaubare Siedlung auf einem Hügel, die
von einer markanten Kirche überragt wird. Langsam macht uns die enorme
Mittagshitze zu schaffen, es ist weit über dreißig Grad. Daher beschließen wir,
eine etwas längere Rast einzulegen. Da die kleine Koreanerin keine Lust hat,
ihren riesigen Rucksack unnötig durch die Gegend zu schleppen, setzt sie sich
vor eine kleine Bar und teilt uns mit, dort auf uns zu warten. Der Rest der
Bande erklimmt auf der Suche nach einer kulinarischen Einkehrmöglichkeit den
Hügel. Auf der Wiese hinter der liebevoll restaurierten Kirche treffen wir auf
die Französin Marie; ich schätze sie auf Mitte fünfzig. Sie spricht beinahe
ausschließlich Französisch und scheint (trotzdem) eine extrem fröhliche Person
zu sein. Avril, Michelle und Melanie kennen sie bereits. Melanie beschließt,
auf die Mittagsmahlzeit zu verzichten und sich zu Marie auf die Wiese zu
fläzen. Also mache ich mich mit Michelle und Avril auf die Suche nach
Futtermittel. Bald entdecken wir eine seelenlose Kaschemme, eine völlig
unpassend eingerichtete Bar am hintersten Rande des Dorfes und weit weg vom
Camino. Mangels Alternativen betreten wir das menschenleere Lokal und nehmen
Platz. Kurz darauf taucht eine pummelige Teenagerin auf und überreicht uns die
sonnengereiften Menükarten. Nach und nach füllt sich die Bar, ein Pärchen
gesellt sich ebenso zu uns wie eine spanische, laut schnatternde Familie. Dabei
sind wir auf dem Weg hierher nicht einer Menschenseele begegnet. Sollte sich
dieses unscheinbare Lokal als Geheimtipp und Sternerestaurant entpuppen? Ähm.
Nein. Denn anstatt uns, die ersten Gäste des Tages, zu bedienen, stürzt sich
die Teenagerin lieber auf die finanziell attraktivere Familie. Und das bringt
die kleine Person unter dem weißen Hut so richtig zum Kochen. In beängstigendem
Ton und mit britischem Akzent zitiert sie die Teenagerin auf Spanisch an
unseren
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