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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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gespannt.
    Die acht verschiedenen
Leckereien, die uns der Chef zusammengestellt hat, sind schlicht und ergreifend
zum Niederknien. Nach dem anstrengenden Wandertag, den ich verhältnismäßig
erstaunlich blessurenfrei absolviert habe, genießen mein Gaumen und ich den
Abend ganz besonders. Zudem kann ich es immer noch schwer glauben, dass ich
nach der gestrigen, alles andere als warmherzigen Ankunft mit diesen drei
Mädels bei ausgelassener Stimmung meinen ersten Wandertag ausklingen lasse. So
verloren ich mich gestern gefühlt habe, so wunderbar aufgehoben, behütet und
gemocht fühle ich mich in diesem Augenblick. Um uns herum tobt das typisch
spanische Abendprogramm: Kinder tollen herum, Einheimische aller Altersstufen
sitzen gemeinsam an den Tischen, essen, trinken und tratschen. Genauso habe ich
mir den perfekten Camino-Abend vorgestellt, ich hoffe, es werden weitere dieser
Art folgen.
    Um kurz vor neun machen wir uns
auf den Rückweg Richtung Herberge. Unterwegs laufen wir doch glatt an einer
hell erleuchteten Eisdiele vorbei. Und die bietet eine Riesenauswahl, so dass
meine Mädels voll auf ihre Kosten kommen. Da ich noch nie so der Eisfan war,
lasse ich den Damen den Vortritt und halte bereits Ausschau nach dem spanischen
Gitarristen. Dem knackigen spanischen Gitarristen, mit Verlaub. In und
vor der Herberge herrscht ein Mordsbetrieb. Da freue ich mich ja jetzt schon
drauf, die nachher alle schnarchen zu hören. Während Michelle ihre aktuellen
Camino-News nach Übersee schickt, beginnen im Aufenthaltsraum zwei junge Damen,
beide um die zwanzig, zu singen. Mit ihrem langen, blonden Haar und ihrer
nahezu identischen Kleidung wirken sie wie Zwillinge. Begleitet werden sie von
einem der beiden hospitaleros auf dessen Gitarre. Berücksichtigt man
sein Alter, kann man den Endfünfziger mit leichten Abzügen in der B-Note
durchaus als knackig bezeichnen. Meine Aufmerksamkeit allerdings genießen die
beiden Mädels. Aufgrund ihrer Gesangsqualitäten, versteht sich. Genau.
    So haben sich also alle vier
Prophezeiungen der heutigen Etappe erfüllt. Die Anhänger von Nostradamus werden
sich warm anziehen müssen.
     
    Viele Jakobspilger tragen das
Symbol der Pilgerschaft am Rucksack: eine Jakobsmuschelschale. Wann und weshalb
sie Jakobus zugeschrieben wurde, weiß man nicht so genau. Klar ist, dass sich
zahlreiche, teils absurde Legenden um sie ranken. Im Mittelalter nutzten die
Pilger sie als Trinkschale oder zum Wasserschöpfen, heutzutage dient sie
lediglich als Erkennungsmerkmal für Jakobspilger. Für Tierfreunde werden
mittlerweile sogar Muschelschalen aus Holz verkauft.
    In Logroño habe ich
beschlossen, mir erst dann eine Jakobsmuschel an den Rucksack zu hängen, wenn
ich mich auf dem Camino heimisch fühle. Eigentlich hatte ich mich auf eine
einsame Woche eingerichtet, aber manchmal muss man einfach aufhören, sich in
Selbstmitleid zu suhlen, und akzeptieren, dass es das Leben nicht immer scheiße
mit einem meint. Scheint so, als müsste ich mir morgen eine Muschel kaufen.
     
    Etappe 1: Logroño — Nájera
(30,7 km)

Montag, 31.
August 2009
     
    Was für eine schlimme Nacht.
Alles begann bereits gestern Abend, a ls der merkwürdige Italiener im
Schlafsaal auftauchte. Natürlich müssen wir nicht über jeden merkwürdigen
Italiener diskutieren, das ist hier nicht das Thema. Dieser allerdings führte
sich auf höchst grenzdebile Art in unser Aufmerksamkeitsspektrum ein, indem er
Michelle mit einer anderen Frau verwechselte. Das allein stellt keinen Grund
für eine gezielte Gerade in die dämlich grinsende Fresse dieses Herrn dar,
natürlich nicht. Aber bemerkt man eine Verwechslung erst, wenn man jemanden
wachgerüttelt (!) hat? Die von Natur aus friedfertige, liebenswürdige Michelle
stand kurz davor, den selten verdrehten Wicht mit ihrem Dreizehn-Kilo-Rucksack
zu erschlagen. Anstatt anschließend die richtige Dame ausfindig zu machen,
beispielsweise durch das Wachrütteln sämtlicher Frauen im Saal, suchte er das
Weite und flüchtete in den Aufenthaltsraum.
    Nach wenigen Minuten herrschte
wieder Ruhe, abgesehen von ausgedehnten Sägearbeiten. Da kehrte der
italienische Bulldozer zurück und rannte erst einmal völlig blind gegen mein
Bett. Die Frau neben mir schoss hoch, als hätte ihr dieser pervers aussehende
Japs neben ihr sonst wo hingegriffen, die beiden über uns wachten ebenfalls
auf, nur der Italiener ignorierte den Aufstand, er sah ja nichts, und rumpelte
und humpelte weiter bis zu seinem Bett.
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