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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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Samstag, 29. August 2009
     
    Angesichts dessen, was mich in
den kommenden vier Wochen erwartet, verspüre ich erstaunlich wenig Nervosität.
Allerdings muss ich ergänzend erwähnen, dass ich gerade schweinemüde bin. Kein
Wunder, hinter mir liegt eine etwas zu kurze Nacht mit nicht einmal vier
Stunden Schlaf. Bis nachts um halb zwei habe ich mich meinem Gepäck gewidmet,
einem wunderbar leichten, schwarz gemusterten Rucksack mit erstaunlich wenig
Inhalt. Da ich eine Kombination aus Angst und Bequemlichkeit darstelle, wollte
ich meine Ausrüstung natürlich so zusammenstellen, dass ich nichts
Überflüssiges mitnehme, gleichzeitig aber auch alles Notwendige. Dabei war mir
von Anfang an klar, dass ich auf jeglichen Luxus verzichten möchte. Nicht, dass
ich etwas Grundlegendes gegen Luxus einzuwenden hätte, allerdings würde er mein
gesamtes Vorhaben ad absurdum führen. Schließlich möchte ich mir nicht nur
beweisen, wie viele Strapazen ich mir antun kann, sondern auch, wie wenig
Materielles ich benötige, um mit mir und der Welt im Reinen zu sein. Apropos
rein, vor einer Sache habe ich dann doch enorme Angst: Bettwanzen. Da es nicht
überall auf dem Jakobsweg gleichermaßen hygienisch zugeht, tauchen diese
elenden Blutsauger hier und da in unschöner Regelmäßigkeit auf. Genau deshalb
habe ich mir gestern Abend noch spontan ein imprägniertes Moskitonetzlaken
gegen Ungeziefer gekauft.
    Vor lauter Absicherungen gegen
die böse Welt hatte ich ganz vergessen, meine Eltern über den kleinen
Selbstfindungstrip in Kenntnis zu setzen. So schickte ich gestern Nacht noch
folgende E-Mail Richtung Heimat: »Hallo Mama, ich hatte keine Zeit anzurufen, viel
zu tun auf der Arbeit. Ich werde vier Wochen in Spanien sein, deshalb nicht per
Telefon zu erreichen, sondern nur unter dieser E-Mail-Adresse. Am 27.09. bin
ich wieder da. Yeah! Adios adios, Maori«.
    Das gibt sicher Ärger, aber da
muss ich jetzt durch.
    Nun ist es kurz nach sechs, und
Seb fährt mich zum Flughafen. An meiner neu gewonnenen Wanderleidenschaft ist
er nicht ganz unschuldig, schließlich war er es, der vor exakt einem Jahr seine
Reise Richtung Nordspanien antrat. Als er nach einem Monat zurückkehrte, hatte
er plötzlich Haare auf dem Kopf und ein glückseliges Funkeln in den Augen. Hier
sei erwähnt, dass er davor jahrelang mit Glatze rumgelaufen ist, und alles was
funkelte war sein blankrasierter Skalp. Bereitwillig und noch völlig
euphorisiert erzählte er mir all seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg, dem Camino
de Santiago.
    Um einen kurzen geschichtlichen
Abriss einzustreuen sei erwähnt, dass sich schon seit Ewigkeiten Menschen auf
den Weg nach Westen machten, bis sie irgendwo am Ende der Welt in den Atlantik
fielen. Die Idee an sich, nach Westen zu laufen, stammt also nicht von einem
kreativen Christen. Allerdings bewies König Alfonso II. von Asturien
Marketinggeschick, als er zu Beginn des neunten Jahrhunderts unserer
Zeitrechnung irgendwo am Rande der Iberischen Halbinsel eine Wallfahrtskirche
erbauen lies. Und das kam so: Einer der zwölf Apostel Jesu, Jakobus der Ältere,
soll nach dessen Himmelfahrt in der römischen Provinz Hispania missioniert
haben. Nach mäßigem Erfolg, der Spanier an sich ließ sich noch nie gern von
Fremden belästigen, kehrte er nach Palästina zurück. Allerdings erntete seine
Tätigkeit auch dort keine Begeisterungsstürme. Ganz im Gegenteil, man hackte
ihm den Kopf ab. Jahrhunderte später, mit sanfter Gewaltandrohung, konnten sich
die Spanier dann doch noch für den christlichen Glauben begeistern. Schon bald
überlegten sie, wie sie aus der neuen Religion den maximalen Profit
erwirtschaften können. Die Lösung: Sie mussten Pilger nach Spanien locken.
Passenderweise wurde gerade die Wallfahrt nach Jerusalem immer gefährlicher,
die europäische Christenheit dürstete förmlich nach einem Wallfahrtsort im
sicheren Westen. Plötzlich fand man heraus, dass Jakobus’ Leichnam nach dessen
Hinrichtung auf einem Schiff von Palästina nach Spanien gebracht worden war.
Ja, wohin auch sonst? Selbstverständlich wurde das verschollene Grab mithilfe
einer Lichterscheinung schleunigst wiederentdeckt, woraufhin König Alfonso II.
an der Fundstelle besagte Kirche bauen ließ. Um sie herum bildete sich eine kleine
Siedlung, die Kirche wurde irgendwann durch eine größere Kirche ersetzt, die
größere Kirche schließlich durch die Mauren zerstört. Nach der Reconquista, der
Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den Mauren
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