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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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richtigen Flieger verfrachtet haben. Wäre schon selten dämlich, sich ohne
Rucksack gen Santiago aufzumachen, während der sich auf den Malediven am Strand
amüsiert. Mein Unbehagen wächst, als die anderen Passagiere rechts und links
neben mir nach und nach ihre Gepäckstücke vom Band herunterpicken und
verschwinden. Immerhin bin ich einer der wenigen noch lebenden Menschen, die
einmal das Glück hatten, dass ihr Gepäck als erstes kommt. So geschehen auf
einer Geschäftsreise nach Stuttgart; die einzige positive Erinnerung an den
Trip. Und an die Stadt. In meiner Hüfttasche stecken sämtliche Wertsachen,
Tickets, das Notizbüchlein für meine Tagebuchaufzeichnungen, Wanderführer
(Cordula Rabe: »Spanischer Jakobsweg«, Bergverlag Rother), Kugelschreiber und Pilgerpass.
Den Pilgerpass, auf Spanisch credencial del peregrino , habe ich in
Deutschland von der St. Jakobusbruderschaft Trier erhalten. Auf deren Website www.sjb-trier.de findet man nicht nur
zahlreiche Informationen rund um die Tätigkeiten des Vereins, sondern auch
Pilgerberichte und Adressen von Herbergen rund um Trier. Außerdem wird dem
Besucher sorgfältig erklärt, wie er an einen Pilgerpass kommt. Der, den mir die
Jakobusgesellschaft zugeschickt hat, ist der offizielle, hochwertige
Pilgerpass, der vom Pilgerbüro in Santiago de Compostela ausgegeben wird, und
bietet Platz für vierzig Stempel. Wer mehr Platz benötigt, heftet sich einfach
ein Blatt Papier hinein oder kauft sich unterwegs einen weiteren Pass. Auf der Rückseite
sind grobe Routenpläne verschiedener Jakobswege aufgezeichnet, mit schönen
Rechtschreibfehlern wie »Lüberck« oder »Müster«. Außerdem sind noch einmal
sämtliche Regeln auf Spanisch aufgeführt. Nur mit einem Pilgerpass darf man die
offiziellen, kostengünstigen Pilgerherbergen am Weg nutzen. Theoretisch könnte
ich also auch ohne Rucksack los, ich bin bestens gerüstet. In Bilbao müsste ich
lediglich die komplette Ausrüstung nachkaufen. Wie lautete noch mal das
spanische Wort für »schnelltrocknende Funktionswäsche«? Endlich, nach etlichen,
äußerst zähen Minuten, kommt mein kleiner, gut verschnürter Rucksack um die
Ecke geholpert.
    Erleichtert mache ich mich auf
zur Toilette, um eine weitere Stufe der Erleichterung zu erklimmen. Aber
anstatt mich jetzt einfach in mein Glück zu entlassen, verhöhnt mich das Leben
in Form der Klospülung. Die hat nichts Besseres zu tun als kräftig durch die
Gegend zu spritzen. Es tut mir schrecklich Leid, es so direkt schreiben zu
müssen, aber — zum Glück musste ich nicht groß.
    Und gerade eben stelle ich
fest, dass der Kuli, den ich gewogen und hierher geschleppt habe, nicht
schreibt. Er weigert sich einfach. Also ab in den Laden am Busbahnhof von
Bilbao und mit Händen und Füßen einen neuen gekauft. Hoffentlich wiegt der
nicht wesentlich mehr als der verstorbene. Auch der Kauf des Bustickets
funktioniert nur mit Händen und Füßen, die werte Dame am Ticketschalter spricht
weder Englisch noch sonst irgendeine Sprache. Sie spricht einfach überhaupt
nicht, sondern guckt mich erwartungsvoll an. Und mit »erwartungsvoll« meine ich
»gelangweilt«. Dank meines mickrigen Spanischkurses, »Starterkurs Spanisch« von
Langenscheidt, kann ich mir den mindestens ebenso mickrigen Busfahrplan
übersetzen. Die vierzehn Euro fünfundneunzig haben sich jetzt schon gelohnt — olé!
    Da mir bis zur Abfahrt des
Busses noch ein wenig Zeit bleibt, schlendere ich hinüber zum Fußballstadion
des baskischen Kultvereins Athletic Club Bilbao, dem Estadio San Marnés. Das
Gebäude ist extrem heruntergekommen, als gehörte es zu einem längst verlassenen
Industriegelände. Kein Wunder, dass der altehrwürdige Verein einen
Stadionneubau direkt gegenüber der Straße plant. Nachdem ich ein
Erinnerungsfoto geschossen habe, kehre ich zum Busbahnhof zurück. Als der Bus
endlich auftaucht, finden sich etwa ein Dutzend Fahrgäste ein; weitere Pilger
kann ich jedoch nicht entdecken.
     
    Erste Erkenntnis in Logroño,
der Hauptstadt der Region La Ríoja: Sämtliche Hotels der Stadt sind vorbildlich
ausgeschildert, nur die Herbergen nicht. Weit und breit sind keine Pilger zu
sehen, aus dem Bus ist auch keiner gestiegen, der mir optisch weiterhelfen
könnte. Also muss ich wohl oder übel meinen völlig überforderten, leicht
benebelten Kopf benutzen, und das in dieser unmenschlichen Hitze. Weswegen bin
ich noch mal hier? Ach, richtig, in dieser Gluthitze werde ich ab morgen zig
Kilometer laufen.
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