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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Autoren: Sylvester Walch
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begleitet von Härte und Kälte, wachgerufen. Dazu werden unmittelbar Szenen aus Kaserne, Internat oder von Sanktionierung und Bestrafung in der Kindheit gegenwärtig. Disziplin, wie sie hier verstanden wird, ist sanft und hat keine autoritären Züge, denn sie entspringt nicht äußeren Zwängen, sondern innerer Überzeugung. Sie ist nicht rigide, sondern wird immer unter der Perspektive gepflegt, Prioritäten zu verändern und Oberflächlichkeiten abzubauen. Ganzheitliche Disziplin bezieht die Sinne mit ein, berücksichtigt essenzielle Bedürfnisse und beruht auf Achtsamkeit. Nur wenn das Herz mitschwingt und die Güte darin Platz hat, kann sie zum Werkzeug der Befreiung werden. Der starke Wille, der fähig ist, begrenzende Muster dauerhaft zu öffnen, ist daher nicht engstirnig, sondern offen und weit. Trotzdem sollten wir aber auch unsere Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit stets in Rechnung stellen. Gurumayi (1994, S.37), empfiehlt, uns kleine Ziele zu stecken und Geduld zu üben:
    »Viele Leute möchten in ihrer Entwicklung immer große Sprünge machen. Das ist schon recht, doch bedenke, dass du dabei die Schönheit jedes einzelnen Schrittes übersiehst. Jeder kleine Schritt hat seinen eigenen inneren Plan. Möchtest du ihn nicht kennenlernen? Wenn du achtsam Schritt für Schritt in deiner inneren Entwicklung weitergehst, machst du die Erfahrung, dass du innerlich stärker wirst, und dir wird auch bewusst, was du für das große Ziel getan hast.«
    Das Leben selbst ist eine Schule, und die spirituellen Übungen sind die Werkzeuge, die uns dabei helfen, Hindernisse zu überwinden. Manchmal kann auch eine Stärkung in einer Meditationsgemeinschaft sinnvoll sein. Der geregelte Tagesablauf in einem Ashram oder Kloster, abseits der Hektik des Alltags, kann die »Batterien wieder auffüllen«. Der spirituelle Weg wird, wie oben schon angemerkt, nie aufhören und immer zu uns gehören, da er die Unendlichkeit im Blick hat. Die Gegenwärtigkeit ist eine Eingangstür zur Ewigkeit und zu den spirituellen Welten. Deshalb empfehlen die spirituellen Traditionen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich nicht allzu sehr in der Zukunft zu verlieren. Um zu erspüren, wer man wirklich ist, muss Altes losgelassen und die Sorge um das Morgen aufgegeben werden. Die transzendente Wirklichkeit zeigt sich nur im Hier und Jetzt. Wenn ich in allem, was ich bin und tue, präsent bin, wird im Sein die Essenz erfahrbar.
Übung: Ich bitte Sie nun, kurz nach innen zu lauschen, was Ihnen gerade gegenwärtig wird. Dann stellen Sie sich vor, wie Sie beim Einatmen die inneren Räume weiten und beim Ausatmen Spannungen loslassen. Nun richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Körpermitte und erlauben dem Atem, dorthin zu strömen. Dann nehmen Sie einfach mit allen Sinnen wahr, was Ihnen präsent wird.
    Wenn im unmittelbaren Gewahrsein alles so erscheinen kann, wie es ist, wird sich das Sein seiner selbst bewusst. Die endlichen Dinge können im Raum der Unendlichkeit, in dem alles fließt und pulsiert, wahrgenommen werden. Dies ist das Fundament der Achtsamkeit, der Kern jeglichen spirituellen Bemühens. In ihrer empathischen Resonanz räumt sie dem All-Einen und allen Lebewesen einen Platz im Herzen ein. Deshalb ist es so wichtig, die Gedankenwelt zu beruhigen, das eigene Wollen zurückstellen und loslassen zu lernen. Erst wenn man zur Ruhe kommt, enthüllt sich das wahre Wesen des Menschseins. Solch unmittelbarer Nutzen ist aber nur ein Vorgeschmack auf den tiefgreifenden Wandlungsprozess, den regelmäßige Meditation bewirken kann. Sie führt auch zu mehr Wahrnehmungssensibilität und Klarheit, tieferen Einsichten und Freude. Wenn man innehält und still wird, werden die Räume des Unendlichen, die alles verbinden und tragen, vernehmbar. Es sind die Lücken zwischen den Gedanken, Atemzügen und Herzschlägen, die dorthin führen. Die Manifestationen des Lebendigen finden in der Stille ihren Halt und beziehen aus ihr Energie, Konzentration und Kreativität.
    Die stille Meditation ist die Königsdisziplin der allermeisten spirituellen Wege; sie ist von jeder Mode unabhängig, überkonfessionell und zeitlos. Stetig dem universalen Selbst näherzukommen, das Ego zu transformieren und das Herz zu öffnen gelingt am besten durch Meditation. Wer täglich meditiert, lebt spirituell. In der Stille, mit aufrechter Haltung und tiefem Atem, kann sich der Geist sammeln und tief in die eigene Mitte eindringen. Zentriert im Strom des Bewusstseins,
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