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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
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früher schon mit Ködern hantiert. Und zwar mit dem Ziel zu töten.
    Ich blicke mich um. Dieser Teufel – kein Wunder, dass Ida so von ihm geträumt hat – ist nicht zu sehen. Man hört auch nichts außer Rockys Winseln und dem Hämmern eines Spechts irgendwo in den Bäumen über mir. Wo bleiben Ida, Hannes, Fabi, Herr Bärlauch?
    Wieso hilft mir keiner? Warum muss ich das jetzt allein entscheiden? Ich verknote meine Finger ineinander und ertappe mich dabei, dass ich mir wie Ida auf die Lippe beiße. Wenn ich jetzt zurückgehe und meinen Hund alleinlasse, habe ich aufgegeben. Wenn ich es aber nicht tue, tappe ich genau in die Falle, die er für mich vorgesehen hat.
    Gibt es denn keinen Mittelweg? Ich trete auf die Lichtung und taste mich ein Stück nach rechts vor,sodass ich ab einem gewissen Punkt hinter den Stoß Baumstämme und den Bauwagen blicken kann. Kein lauernder Jäger. Die Wiese ist sauber. Er befindet sich also entweder am Waldrand oder ist zurück zu Ida gelaufen.
    Rocky macht unaufhörlich Theater. Er fragt sich bestimmt, warum Frauchen ihn nicht endlich holt. Sein Jaulen ist kaum mit anzuhören. Sein Flehen spricht mein Herz dermaßen an, dass ich schließlich den Entschluss fasse, ihn zu befreien. Idas Exfreund müsste, um mich einzusperren, zuerst die Strecke vom Waldrand zum Bauwagen zurücklegen. Das macht knapp dreißig Sekunden für mich. Vielleicht komme ich damit aus.
    Zaghaft und mich ständig umschauend, nähere ich mich dem Bauwagen.
    Beobachtet Lars mich? Hockt er im Gebüsch und reibt sich die Hände, weil ich mich dem Ziel nähere?
    Oder ist er längst bei Ida, weil es ihm ausreicht, mich zu verstören und einzuschüchtern wie damals im Keller des Bootshauses? Erfüllt er seinen Teil des Deals jetzt schon, gibt er mir so Rocky zurück?
    Ich kneife wegen der grellen Mittagssonne die Augen zusammen und prüfe den Waldsaum. Mir fällt nichts Verräterisches oder Verdächtiges auf.
    Als ich die offene Tür des Bauwagens erreiche, merke ich, wie ich schwitze.
    Aber nun bin ich hier, ganz nah bei Rocky. Ich sehe meinen kleinen Jack-Russell-Terrier, der vergeblich versucht, mich zu erreichen. Der Bauwagen ist lang und schmal. Das Licht darin grau, die Lufterfüllt vom Geruch nach frischen Sägespänen und Hundeurin. Die Einrichtung ist überschaubar, ein paar lehmige, unhandliche Gerätschaften, eine große Kabeltrommel und – unter der Decke an Schlinghaken befestigt – zwei oder drei Schaufeln und Stangen. Noch etwas fällt mir auf: Rocky ist nicht am Halsband festgebunden. Die Fessel aus zusammengeknoteten Schnürbändern liegt wie ein Würgehalsband direkt um seine Kehle.
    Sie zieht sich mit jedem wilden Ruck, den er nach vorn, zu mir hin macht, enger zusammen. Deshalb hängt ihm die Zunge so aus dem Mäulchen. Er quält sich, er hat wirklich Atemnot, nicht nur vor Aufregung.
    Ich muss ihn befreien!
    Mit zwei Schritten bin ich bei ihm und versuche, mich nicht von seiner Freude anstecken zu lassen, sondern so schnell wie möglich die Knoten der Schnürsenkelleine zu öffnen. Doch die Schnüre sind glatt und feucht, die Knoten haben sich zusammengezogen und ineinander verschlungen. Oben an der Bauwagenwand scheint es mir noch am einfachsten, sie zu lösen, dort sind sie an einer Metallöse festgemacht, die aus der Rückwand herausragt.
    Schneller, Nele! Gleich kommt
er
und schließt die Tür hinter dir. Gleich wird es dunkel. Gleich bist du wieder allein mit der Angst.
    Ein Blick auf die Knoten, ein Blick Richtung Waldsaum. Er kann auch von hinten kommen, dann habe ich gar keine Chance. Meine Augen brennen. Ich kriege Rocky nicht los! Dass er so zappelig undaufgeregt ist, macht die Sache nicht einfacher. Ich breche mir einen Fingernagel ab, hebe wieder den Kopf.
    »Warte, Rocky, ich hab’s gleich!« Hätte ich doch eine Schere oder ein Messer dabei! Könnte ich die Schnur durchreißen, durchbeißen! Gibt es denn hier kein Werkzeug?
    Da ist er.

36
    Der Vogelfänger wird wieder Beute machen. Eine fette Gans diesmal. Sie gerät langsam in Panik, stiert ihn entsetzt an, zerrt an der raffinierten Fessel, die er geknüpft hat. Sie wird sich vergeblich abmühen, mit ihren dicken Fingern kriegt sie die Knoten nicht auf.
    Sein Schritt geht in gleichgültiges Schlendern über. Er könnte sich Zeit nehmen, sie schmoren und zappeln lassen – wenn er nicht bald zu seinem Täubchen müsste.
    Jetzt überlegt die Gans, ob sie sich ohne den Hund in Sicherheit bringen soll. Noch hätte sie die
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