Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
Vom Netzwerk:
herrenloser Hund herum, warnt der Moderator.
    »Ach, du Scheiße«, kommentiert einer. »Das arme Tier.«
    »Dat is wegen die Sommerferien«, sagt ein anderer. »Die Leute setzen ihre Haustiere einfach aus, wenn die in Urlaub fahrn.«
    »Wo is’ ’nn mein Hund?«, frage ich mit möglichst verschliffener Sprache und recke den Hals, nicht zu viel, denn der Träger meines Tops hängt mittlerweile über der Schulter und den roten BH habe ich zu klein gekauft; an dem Tag, als ich mit Ida shoppen war, habe ich mich nicht getraut, meine wahre Größe zu sagen.
    Die Männer treten zur Seite. Hinter ihnen ist noch jemand, den ich zuvor nicht habe sehen können.Er hockt auf dem Boden und krault meinen kleinen, weiß-braun gefleckten Hund hinter den Ohren. »Terrier, ne?«, fragt er.
    »Bullterrier.«
    Sie lachen. »Klar doch. Und wie heißt er?«
    »Rocky.«
    »Wie der Boxer, wa?« Mann boxt mich auf die Schulter. Wenn sanft nicht so ein schönes Wort wäre, würde es passen. So ist es sanft mit Schweiß und Testosteron und Unsicherheit gemischt, also weit entfernt von allem Schönen.
    »Genau«, sage ich. »Wie der Boxer. Ein Kampfhund, professionell abgerichtet, also Vorsicht. Und ich muss jetzt los.«
    Kittelchen guckt. Die Männer lachen. Der, der Rocky gekrault hat, steht auf und gibt mir den Weg zu meinem Fahrrad frei. Ich lade die erste Tüte in den vorderen Korb, da sagt der Einzige, den ich flüchtig vom Sehen her kenne, weil er oft zum Fußballplatz kommt: »Weißt du, was ich mir mal überlegt hab, Nele: Wie alt bist du eigentlich?«
    Ich ignoriere die Frage.
    »So jung und so viel Alkohol kaufen!«, motzt er los.
    »Ist nicht für mich allein«, entgegne ich barsch und hieve die zweite Tüte in den hinteren Korb.
    »Na klar!«, ruft er ironisch. »Wer’s glaubt!« Und mit einem Blick zu seinen Freunden: »Die Nele, müsst ihr wissen, die ist noch schärfer, als sie aussieht. Die ist so abgezockt, die ist schuld, dass ihr Freund beinah …«
    Ich trete in die Pedale. Rocky muss zusehen, dass er mithält. Die Flaschen scheppern. Kittelchen seufzt und reißt eine Tüte Chips auf. »Kittelchen soll sich das Salzzeug in den Mund stopfen, so lange, bis ihr Kittel platzt!«, schimpfe ich, vor Anspannung, vor Wut. Dann kommt die Strecke, an der es bergab geht, und die Lieblingsworte meines Vaters schwappen in meinen Kopf: »Du musst mal ruhiger werden, Nele.«
    Leicht gesagt!
    Ich lasse mich rollen und versuche, mein heftig schlagendes Herz unter Kontrolle zu kriegen. Mein Vater wäre in meiner Situation auch nicht locker geblieben.
    Bleib mal ruhig, wenn das ganze Kaff über dich spricht. Wenn die Religionslehrerin der Parallelklasse meint, du wärst ein gutes Thema für den Unterricht: »Diskutieren wir heute mal über den Fall Nele Pestowski. Was meint ihr denn, hat die Schuld oder nicht?«
    Diese Scheinheiligkeit! Die Lehrerin hat mit mir niemals gesprochen, sie weiß nichts von der Wahrheit, hat sich nur auf Gerüchte und den Zeitungsbericht verlassen. Wer hinterfragt ihre Handlungen? Wer schützt die Schüler vor den Lehrern?
    Bleib mal ruhig, wenn die Freunde sich aus der Affäre ziehen, dein Liebster dich verlässt und selbst deine Eltern, die nun wirklich alles andere als ein mustergültiges Leben führen, sagen: »Du hättest dich ja auch wirklich vorbildlicher verhalten können!«
    Da kannst du, um ruhig zu bleiben, eigentlich nur noch abhauen.
    Genau das habe ich vor. In zwei Stunden geht’s los, mit meinem Hund, meinem Zelt, meinem Proviant und meiner Freundin Ida.

3
    Pünktlich um zwölf ist Ida da, drückt im Auto ihres Vaters wie verrückt auf die Hupe, und Rocky, der natürlich als Erster reagiert, rennt quer durch die Wohnung, scheucht die Katze auf den Küchenschrank, die Wellensittiche an die Käfigdecke und die Rennmäuse in die Pappröhren, stellt sich dann an die Balkonbrüstung und bellt genauso verrückt.
    »Da machen die Richtigen zusammen Urlaub, rette sich, wer kann«, murmelt mein Bruder vom Frühstückstisch her, wischt sich mit dem Ärmel seines Jogginganzugs etwas Nutella von der Backe und stellt mir, als ich im Hinter-Rocky-Herlaufen auf seiner Höhe bin, Beinchen.
    »Blödmann!« Ich werfe nach ihm, was gerade im Weg herumliegt, ein Blumenkränzchen aus Plastik, und stürme dann weiter auf den Balkon. Erst da kommt Ida aus dem Auto. Aufsehenerregend sieht sie aus: enge weiße Jeans und ein cocktailkirschrotes Top, das genial zu ihren frisch in verschiedenen Orangetönen gefärbten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher