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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
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und ich noch zusammen waren, haben wir uns manchmal darüber lustig gemacht, dass sie immer hinter der Ribbelglasscheibe des Gästeklos steht und wachsam Ausschau hält, wer sich dem Haus nähert. Jetzt sind wir froh, wenn wir überhaupt noch drei Sätze miteinander reden können, ohne uns zu streiten.
    Gestern lag er auf einer Liege im Garten, seinen Laptop auf den Knien, eine Flasche Cola neben sich im Gras.
    »Hi«, sagte ich und er hob unten auf seiner Liege mit kaum erträglicher Langsamkeit den Kopf, die Augen anklagend aufgerissen und die Stirn so gefurcht, als habe er schlimmste Schmerzen oder eine schwere Aufgabe zu lösen. Kein Gruß.
    »Na?«, fügte ich deswegen hinzu. Als zweites Hallo sozusagen. Was hätte ich sonst tun sollen, während seine Mutter, die mich widerwillig ins Haus gelassen hatte, auf der Terrasse stand, Blumenpflege vortäuschte und versuchte, unser Gespräch mitzubekommen?
    »Was: na?« Für einen Moment sah ich seine Fassadebröckeln, sah Aufregung in seinen sommerabendhimmelblauen Augen und bildete mir ein, gleich würde er mir seine Hände entgegenstrecken. Ich war immerhin mal seine große Liebe und er meine.
    Als wir uns vor einem halben Jahr ineinander verguckten, war er mit seiner Mannschaft gerade Herbstmeister der Bezirksliga geworden. Ich hatte spätabends um elf unsere vier Katzen hinterm Haus gefüttert, während vorn die Jungs feierten. Er war um die Ecke getorkelt und hatte mich von laut maunzenden Tierleibern umwuselt auf dem Boden knien sehen.
    Ich weiß noch genau, welche bedeutungsschweren Worte er zuerst zu mir gesagt hatte: »Du, ich find mein Rad nicht wieder.«
    Ich, aufstehend und meinen alten, sehr kurzen Jeansrock, den ich nur noch zu Hause trug, mit beiden Händen nach unten ziehend, damit er länger aussah: »Die Fahrradständer sind doch da drüben.«
    Er hatte mich angesehen, auf meine Strumpfhosenbeine und Pantoffelfüße gezeigt und plötzlich gelacht. »Mann, bin ich zu. Ich seh schon vier Katzen!«
    »Da sind ja auch vier Katzen«, hatte ich sanft geantwortet. »Manzi, Wanzi, Kanzi und Banzi.«
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Bruder immer für diese Namensgebungen verflucht, nun aber musste ich plötzlich genauso lachen wie der Junge vor mir. Und am nächsten Tag bekam ich einen Liebesbrief von Tobias, in dem er mich ummeine Handynummer bat und auf dessen Umschlag stand:
Für das perfekte Mädchen.
    Mittlerweile sah er mich anders, obwohl noch nicht aller Zauber zwischen uns verflogen war. Warum trug er zum Beispiel wieder das abgewetzte, von Speckigkeit dunkel gewordene Lederarmband, das ich ihm mal auf einem Trödelmarkt gekauft hatte? Im Krankenhaus hatte er es aus Wut zerschnitten, doch nun wieder zusammengeknotet. Wodurch es allerdings zu kurz geworden war, um sein Handgelenk spannte und dort auch nicht mehr stilvoll und geschichtsträchtig, sondern nur noch lächerlich aussah.
    »Ich wollte dir dein Geld geben, Tobi«, sagte ich, entschlossen, kein Wort über das gekittete Liebesband zu verlieren und so zügig wie möglich wieder zu verschwinden. »Die CDs und was ich sonst noch von dir ausgeliehen hatte, habe ich dir ja schon vorbeigebracht. Fehlten nur noch die 20 Euro hier. Jetzt sind wir, glaub ich, quitt.« Ich zerrte den blauen Schein aus der Hosentasche und legte ihn etwas zerdrückt vor Tobias auf die Tastatur des silbrig glänzenden Laptops. Wie ein großer Schmetterling mit gebrochenen Flügeln sah er dort aus.
    Tobias blickte darauf. »Fährst du morgen?«
    »Ja.«
    Er strich sich über das Armband. Mein Vater pflegt eine ähnliche Geste mit seinem Ehering zu machen, vorzugsweise dann, wenn der Haussegen schief hängt und meine Mutter ihm heulend androht, sie werde eines Tages ausziehen.
    »Ich kann ja nicht«, sagte Tobias.
    Das war eindeutig als Vorwurf gemeint. Er konnte keinen Urlaub machen, weil er an einem verhängnisvollen Abend vor vier Wochen mal wieder Probleme gehabt hatte, sein Fahrrad zu finden, und ich ihm nicht dabei behilflich war, trotzdem heile nach Hause zu kommen.
    »Du wolltest dich doch betrinken«, zischte ich.
    »Und du hast mich alleingelassen!« Diese Worte schrie er regelrecht heraus, und obwohl ich genau wusste, dass er in diesem Moment wohl am liebsten von mir in den Arm genommen werden wollte, wich ich einen Schritt zurück – und stieß mit dem Rücken gegen seine Mutter, die herangetrippelt war und jetzt mit bebendem Brustkorb und piepsiger Stimme sagte: »Tobias ist noch schwach, er verträgt
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