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Fesseln der Erinnerung

Fesseln der Erinnerung

Titel: Fesseln der Erinnerung
Autoren: Nalini Singh
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Justiz
    Nachdem die Medialen sich für Silentium entschieden hatten, nachdem sie ihre Gefühle für immer begraben und sich in eiskalte Individuen verwandelt hatten, denen Liebe und Hass vollkommen gleichgültig waren, versuchten sie zunächst, ihresgleichen von den Menschen und Gestaltwandlern zu isolieren. Denn der dauernde Kontakt mit diesen fühlenden Wesen machte es wesentlich schwerer, die Konditionierung aufrechtzuerhalten.
    Vollkommene Isolation wäre die logische Folge gewesen.
    Sie erwies sich jedoch als nicht praktikabel. Schon wirtschaftliche Gründe sprachen dagegen – die Medialen waren zwar alle im Medialnet miteinander verbunden, dem großen geistigen Netzwerk, das ihnen mental Halt gab, dennoch waren sie nicht alle gleich. Manche waren reich, andere arm und wieder andere kamen gerade so zurecht.
    Aber alle mussten einer Arbeit nachgehen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Rat der Medialen konnte jedoch trotz seiner Macht nicht genügend Arbeitsplätze für alle von ihnen bereitstellen. Die Medialen mussten deshalb ein Teil der chaotischen Welt bleiben, in der Freude und Trauer, Angst und Verzweiflung tobten. Mediale, die unter diesem Druck zusammenbrachen, wurden still und heimlich „rehabilitiert“, ihr Verstand getilgt, ihre Persönlichkeit ausgelöscht. Die anderen arrangierten sich.
    Die M-Medialen, deren Gabe es war, in Körper hineinzusehen und Krankheiten zu diagnostizieren, hatten sich nie ganz zurückgezogen. Ihre Fähigkeiten wurden von allen drei Gattungen geschätzt, und sie verdienten in der Regel gut.
    Die mit weniger starken Fähigkeiten gesegneten Medialen nahmen ihre normale Arbeit als Angestellte und Ingenieure, Ladenbesitzer und Geschäftsleute wieder auf. Nur empfanden sie nun weder Freude noch Abscheu, ja noch nicht einmal Gleichmut ihrer Tätigkeit gegenüber, sie funktionierten nur noch.
    Die mächtigsten Medialen wurden, wenn irgend möglich, in ministeriale Aufgaben eingebunden. Der Rat wollte nicht das Risiko eingehen, die besten Leute zu verlieren.
    Dann gab es noch die J-Medialen.
    Telepathen, die sich von Geburt an Zugang zu den Erinnerungen anderer verschaffen konnten und diese dann wieder anderen zur Verfügung stellten, waren Teil des Justizsystems, seit sich ein solches entwickelt hatte. Es gab allerdings nicht genügend von ihnen, um über Schuld oder Unschuld eines jeden Angeklagten zu entscheiden – J-Mediale wurden nur in den härtesten Fällen hinzugezogen, bei denen selbst erfahrene Polizisten sich übergaben und auch abgestumpfte Journalisten lieber einen Schritt zurücktraten.
    Der Rat hatte selbstverständlich die Vorteile des Zugangs zu einem System erkannt, das sowohl Menschen als manchmal auch die verschwiegenen und eng dem Rudel verbundenen Gestaltwandler belangen konnte, und erlaubte den J-Medialen nicht nur, mit ihrer Arbeit fortzufahren, sondern ihre Beteiligung sogar auszuweiten. Jetzt, Anfang des Jahres 2081, sind die J-Medialen aus dem Justizsystem nicht mehr wegzudenken, niemand wundert sich darüber oder nimmt Anstoß daran.
    Und was die unerwarteten Konsequenzen einer längerfristigen Arbeit als J-Medialer betrifft … nun, die Vorteile überwiegen bei Weitem die sporadisch auftretenden Unannehmlichkeiten durch Morde.

1
    Man wird nicht durch die Lebensumstände geprägt. Denn sonst hätte ich mit zwölf zum ersten Mal gestohlen, mit fünfzehn den ersten Raubüberfall begangen und wäre mit siebzehn zum Mörder geworden.
    – aus den privaten Fallaufzeichnungen
von Detective Max Shannon
    Sophia Russo saß gerade einem Psychopathen gegenüber, als ihr drei unerbittliche Tatsachen bewusst wurden:
    Erstens: Aller Wahrscheinlichkeit nach würde in spätestens einem Jahr ihre umfassende Rehabilitation angeordnet werden. Im Gegensatz zu einer normalen Rehabilitation würde dieser Vorgang nicht nur ihre Persönlichkeit auslöschen und sie als hirnloses Gemüse dahinvegetieren lassen. Umfassend bedeutete, dass neunundneunzig Prozent ihrer Sinne ausgeschaltet würden. Nur zu ihrem eigenen Besten, versteht sich.
    Zweitens: Nicht ein einziges Wesen würde sich auch nur an ihren Namen erinnern, nachdem sie aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war.
    Drittens: Wenn sie nicht sehr aufpasste, würde sie bald so leer und unmenschlich sein wie der Mann, der ihr gegenübersaß … denn das Andere in ihr hätte am liebsten sein Hirn zerquetscht, bis er wimmernd und blutend um Gnade gebettelt hätte.
    Das Böse ist schwer zu definieren, aber es sitzt
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