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Fesseln der Erinnerung

Fesseln der Erinnerung

Titel: Fesseln der Erinnerung
Autoren: Nalini Singh
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von Schönheit hatten ihn angezogen.
    Max’ Gedanken kehrten zurück zu der Frau, die dem Mörder ohne ein Blinzeln in die Augen geblickt hatte, während er selbst sich dazu hatte zwingen müssen, zuzusehen und nicht einzugreifen. „Sie passt in sein Schema – Ms Russo, meine ich.“ Ihre Augen und ihre Narben machten sie einzigartig – ein wichtiger Aspekt in Bonners kranker Auswahl. Sein Ziel waren Frauen, die in der Menge nicht untergingen – die Gewalt, die aus Sophia Russos Narben sprach, wäre für ihn das Sahnehäubchen auf dem Kuchen gewesen. „Hattest du das arrangiert?“ Max’ Hand umklammerte den Stift, als er Bart beim Aufräumen half.
    „Reines Glück.“ Der Staatsanwalt steckte die Papiere in die Aktentasche. „Als Bonner seine Kooperation anbot, haben wir den J-Medialen angefordert, der am nächsten war. Russo hatte gerade einen Fall hier abgeschlossen. Sie ist jetzt auf dem Weg zum Flughafen – ihr Ziel ist unser Zuhause.“
    „Liberty?“, fragte Max – das Gefängnis der höchsten Sicherheitsstufe lag auf einer künstlichen Insel vor der Küste von New York.
    Bart nickte, während sie den Raum verließen und zur ersten Schleuse gingen. „Sie soll dort einen Insassen treffen, der behauptet, ein anderer Gefangener habe ihm den bislang ungelösten grausamen Mord an einem hohen Tier gestanden.“
    Max musste an das denken, was Bonner dem einzigen bislang aufgefundenen seiner Opfer angetan hatte, von der einst knabenhaften Schönheit Carissa Whites war nichts mehr übrig gewesen. Welche Bilder standen Sophia Russo wohl vor Augen, wenn sie nachts einschlief.

2
    Nikita Duncan, Ratsfrau und eine der mächtigsten Frauen der Welt, las die biografischen Daten in dem ihr vorliegenden vertraulichen Dokument durch und hielt einen Moment inne, um das digitale Bild zu betrachten.
    Der Mensch hatte unverwechselbare Züge. Hohe Wangenknochen und eine Haut, die auf eine komplexe Genstruktur schließen ließ. Den Augen nach musste ein Elternteil aus Zentralasien stammen. Doch das Aussehen von Max Shannon war Nikita im Grunde egal.
    Sie interessierte etwas weit Wichtigeres – seine Gedanken.

3
    Die Verbindung der Patientin zum Medialnet besteht nicht mehr aus einem einzelnen Strang – ihr Geist hat überlebt, indem sich ihr ganzes Bewusstsein im neuronalen Netzwerk verankert hat. Jeder Versuch, diese Verbindung zu lösen, würde ihre Persönlichkeit vollkommen zerstören und sie töten.
    – aus der Krankenakte von Sophia Russo,
minderjährig, Alter: 8
    Als Sophia am nächsten Morgen das Gefängnis betrat, das paradoxerweise den Namen Liberty – Freiheit – trug, hatte sie seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen, was aber niemand vermutet hätte, der sie in ihrem schicken Aufzug sah und ihre klare Stimme hörte. Gleich nach ihrer Ankunft wurde sie ins Vernehmungszimmer geführt. Der zuständige Bezirksstaatsanwalt traf eine Minute später ein.
    Und weitere fünf Minuten später beschäftigte sie sich schon mit Erinnerungen. Ganz anders als bei Bonner befand sich in dem Kopf dieses Gefangenen nichts weiter als über vierzig Jahre angesammelte Gewalt. Manche unerfahrenen J-Medialen verloren sich in einem solchen Durcheinander, aber Sophia hatte gelernt, Informationen sehr sorgfältig herauszufiltern. Sie begab sich auf direktem Weg zu den Erinnerungen des fraglichen Tages und griff sich nur die relevanten Minuten heraus.
    Menschen neigten dazu, Medialen mit Misstrauen zu begegnen, J-Medialen ganz besonders, denn sie fürchteten, diese könnten sich ihrer Geheimnisse bemächtigen. Aber in Wahrheit hatte Sophia schon viel zu viel aus dem Leben anderer im Kopf. Sie wollte nichts mehr davon – erst recht nicht die Erinnerungen, um die man sie unweigerlich immer wieder bat. In all den Jahren waren ihr nur vier Unschuldige begegnet. „Ich habe es gefunden“, sagte sie zum Bezirksstaatsanwalt.
    Er bat den Gefangenen und seinen Anwalt, auf ihn zu warten, und ging mit ihr in die Wartehalle vor dem Büro der Wächter. „Könnten Sie mir die Informationen senden?“
    Sophia nickte. Diese spezielle Fähigkeit machte aus Telepathen J-Mediale. Die meisten Telepathen konnten Worte oder auch Bilder übermitteln, J-Mediale hingegen konnten nicht nur Erinnerungen aus Köpfen herausziehen, sondern sie auch als Gesamtpaket einem anderen schicken. Der Bezirksstaatsanwalt war ein Mensch und hatte keine Schilde. Das hätte unter anderen Umständen ein Handicap für ihn sein können, aber da er dem Rat weder
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