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Fesseln der Erinnerung

Fesseln der Erinnerung

Titel: Fesseln der Erinnerung
Autoren: Nalini Singh
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Vorteile noch Nachteile brachte, wurden seine Gedanken auch nicht von Medialen unterwandert.
    „Vielen Dank“, sagte er, nachdem die Übermittlung abgeschlossen war. „Das wirft ein anderes Licht auf die Vorgänge, nicht wahr?“
    Sie antwortete nicht, er hatte zu sich selbst gesprochen. Selbst wenn die Frage an sie gerichtet gewesen wäre, hätte sie nichts gesagt. Sie versuchte gerade, die Erinnerungen zu „verdrängen“. Das war zwar vergebliche Mühe, aber manchmal gelang es ihr doch, sich ein wenig davon zu distanzieren.
    Der Bezirksstaatsanwalt seufzte. „Ich möchte noch mit dem Zeugen und seinem Anwalt reden. Der Hubschrauber wird bald eintreffen, um Sie aufs Festland zurückzubringen.“ Er sah sich nach dem Wärter um.
    „Gehen Sie nur“, sagte sie. „Der Ort ist ausgezeichnet bewacht. Mir wird schon nichts geschehen.“
    „Sind Sie sicher?“ Ein besorgter Blick.
    „Ich habe schon viel Zeit in Gefängnissen verbracht.“
    „Das habe ich mir schon gedacht. Nun gut, Sie haben ja die Nummer meiner Sekretärin. Rufen Sie an, wenn der Hubschrauber nicht in den nächsten zehn Minuten auftaucht.“
    „Mach ich.“ Äußerlich ruhig nickte sie ihm zum Abschied zu und setzte sich. Man hätte sie eigentlich unter keinen Umständen allein lassen dürfen. Nicht etwa, weil ihr Körper sich in Gefahr befand. Das spielte keine Rolle, das hatte sie bereits dem Staatsanwalt erklärt. Zwischen ihr und dem nächsten Insassen lagen mindestens vier doppelt gesicherte elektronische Schranken aus Stahlgittern.
    Es lag auch nicht daran, dass sie an diesem kalten, grauen Ort Angst bekommen würde.
    Sie hatte unglaublich viele Augenblicke von Gewalt und Schmerz miterlebt, aber sie selbst spürte keine Furcht. Sie empfand gar nichts. Dafür sorgte Silentium, das den Wahnsinn der Medialen auf Eis gelegt hatte, ihre Gefühle aber ebenso. Doch bei Sophia funktionierte Silentium nicht so, wie es sollte. Und jeder wusste das. Die meisten Medialen wären in diesem Zustand längst rehabilitiert worden, aber sie war eine J-Mediale. Diese Kategorie war so selten und so notwendig, dass man ihnen ein paar … Eigenheiten gestattete.
    Doch selbstverständlich hätte man J-Mediale nie an dermaßen „verfänglichen“ Orten allein lassen dürfen.
    Das Böse ist schwer zu definieren, aber es sitzt in diesem Raum.
    Die Erinnerung an Max Shannons harte Worte hielt sie einen Augenblick lang auf. Würde er das hier für böse halten? Könnte schon sein. Aber da sie diesem Mann, der in ihr einen Moment lang den Wunsch geweckt hatte, etwas Besseres zu sein, wohl nie mehr über den Weg laufen würde, konnte sie auch nicht zulassen, dass er ihr Handeln bestimmte. Denn obwohl das, was sie gleich tun würde, in keiner offiziellen Jobbeschreibung stand, hielt sie es wie alle J-Medialen für einen Teil ihres Auftrags.
    Vier Minuten später erklang der erste Schrei. Er war schrill und durchdringend, aber niemand hörte ihn. Denn der Mann schrie lautlos, sein Geist war in einem Gefängnis gefangen, das stärker war als der Kunstbeton und Mörtel, der seinen Körper umgab.
    Gleichzeitig mit dem Schrei bewegte er sich. Er knöpfte die Hose auf und ließ sie zu Boden gleiten, ging mit schlurfenden Schritten zum Schreibtisch, den ihm sein Anwalt besorgt hatte und zog etwas aus einem Hohlraum im Tischbein. Der Gefangene sei ein gelehrter Mann, hatte der Anwalt argumentiert, es sei grausam und sehr unüblich, ihn dadurch noch mehr zu bestrafen, dass er nicht schreiben und seine Forschungen fortführen könne. Dabei hatte der Anwalt aber vergessen, das kleine, hilflose Opfer zu erwähnen, dass der Gelehrte in einem Hundezwinger festgehalten hatte und dem nicht einmal die grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse zugestanden worden waren.
    Doch im Augenblick lag es dem Gefangenen fern, an die Annehmlichkeiten zu denken, die er sich verschafft hatte. Seine Hand schloss sich fest um ein Werkzeug, er brabbelte unverständlich vor sich hin, hatte keinen eigenen Willen mehr. Das Werkzeug schnitt in das weiche weiße Fleisch seines Bauches, und dem Mann wurde plötzlich klar, was er tat.
    Blut tropfte auf den Boden – es dauerte eine Weile, bis das Werk getan war, denn das Werkzeug war nur eine Art Messer aus dem Griff einer Zahnbürste, den er auf heimlich beschafften Steinen glatt geschliffen hatte, bis er beinahe so scharf wie … ein richtiges Messer war.
    Die Amputation war sehr schmerzhaft.
    Und lange vorbei, als ein kleiner, vierschrötiger Mann mit
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