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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger
Autoren: Kristina Dunker
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keine Aufregung!«
    »Unsinn!«, fuhr ich sie an. »Er ist doch kein alter Opa!« Zu ihm sagte ich: »Du hast dich geärgert, weil ich mich Sachen traue, die dir nicht mal im Traum einfallen würden. Du konntest es nicht auf dir sitzen lassen, dass deine Freundin mutiger und sportlicher ist als du. Deshalb hast du dich betrunken und deshalb wolltest du auch alleine sein. Du hast dir das Problem selber gemacht!«
    Tobias wurde rot, öffnete den Mund, wollte wohl etwas sagen, senkte dann den Kopf und riss ihn erst wieder hoch, als seine Mutter düster und hasserfüllt zugleich sagte: »So wie du mit ihm umgehst, bringst du ihn noch ins Grab, Nele. Du bist Gift für ihn.«
    »Ach, ja?«, keifte ich sie an. »Und was sind Sie?Sie mit Ihrer Art, sich überall einzumischen, überall rumzuspionieren und zu allem Ihren Senf abzugeben? Glauben Sie, das tut ihm gut?!«
    Mit diesen Worten stürmte ich los, durch den Garten und ins Wohnzimmer hinein. Auf einer Kommode stand ein gerahmtes Familienfoto – Vater, Mutter, Kind, fröhlich und sonnengebräunt auf einem Pier an der Ostsee – und im Vorbeigehen fuhr ich den Arm aus und schleuderte es herunter auf den Boden. Zack! Sollte die alte Vettel ruhig sagen, dass sie von mir auch gar nichts anderes erwartet hatte!

5
    Papa Bärlauch hat es eilig. Er will uns schnell abliefern, um sich wieder seinem Geschäft widmen zu können, und würde am liebsten sogar auf die obligatorische Pinkelpause verzichten. Kaum aber hat er widerwillig den Blinker für die Autobahnraststätte gesetzt, kann er wahrscheinlich nicht anders, als mich zu fragen, ob ich Kuchen und Cappuccino möchte.
    »Was ist das denn?«, schnappt Ida. »Würdest du nicht lieber verhungern, als etwas in einer Autobahnraststätte zu essen?«
    »Natürlich, aber ich muss es deiner Freundin zumindest anbieten. Außerdem werden wir an einem Kaffee schon nicht sterben. Kommt, ich lade euch ein.« Er dreht sich zu mir um. »Einverstanden?«
    Ida zuliebe möchte ich zwar »Nein, danke« sagen, aber ich habe leider Appetit auf Süßes und das sieht ihr Vater – in diesem Punkt ist er ja wohl Fachmann – meinem Gesicht auch an.
    »Schön!« Er legt seine Hand auf Idas Arm. »Du könntest auch ein Stück Kuchen vertragen. Mama hat immer Angst, dass du uns zu dünn wirst, und wie sieht das aus, wenn ausgerechnet du …«
    »Papa!« Sie schubst seine Hand weg.
    Markus Bärlauch lacht verlegen auf. »Das war ein Scherz!«
    »Das muss man bei dir aber auch dranschreiben, was ein Scherz ist und was nicht!«, schimpft sie.
    Bisher habe ich Ida immer um ihre Familie beneidet. Sie wohnen mit ihren Großeltern zusammen in einem historischen Bauerngehöft. Die einzelnen Gebäude sind alle toll renoviert, Fachwerk und alte Apfelbäume, sogar einen Swimmingpool haben sie im Garten. Jede Menge Platz steht ihr und ihrer älteren Schwester zur Verfügung, ihr Zimmer ist dreimal so groß wie meines, und Hanna, mittlerweile einundzwanzig, hat eine eigene Wohnung mit Atelier im Nebengebäude; sie will Modedesignerin werden.
    Aus ihrer Familie werden alle was. Fernsehkoch, Restaurantchef, Modedesigner. Wenn Ida sich aus ihrem Fenster lehnt, sieht sie Felder und Wiesen. Morgens hört sie im Hof die weißen Gänse schnattern und abends im benachbarten Restaurant die Weingläser klingen, so als würden die Leute ständig miteinander anstoßen.
    Wenn ich aus meinem Fenster blicke, sehe ich den Fußballplatz vom SC Oberwacker, vormittags rumpelt mein Vater auf der Rasenwalzmaschine seine Bahnen oder lässt den Laubsauger aufheulen, am Wochenende sagt er die Halbzeitergebnisse der Regionalliga mit dem Lautsprecher durch, abends werfen die Jungs ihre Bierflaschen mit Karacho in den Mülleimer und, wenn sie verloren haben, auch schon mal gegen unsere Hauswand.
    Trotz dieses Unterschieds sind wir Freundinnen geworden. Das erste Mal kamen wir in den Osterferien in Kontakt, natürlich auf dem Dreh- und Angelpunkt meines Lebens, dem Sportplatz Oberwacker. Dort fand eine Woche lang ein städtisches Volksfest statt, zu dem auch Bärlauchs Restaurant ein paar Stehtische und Schlemmerhäppchen beisteuerte. Ich verdiente mir am Bierstand ein zusätzliches Taschengeld; Ida war gebeten worden, aus unserem Bestand Gläser auszuleihen. Irgendwann fingen wir an, gemeinsam Pause zu machen und Lachsschnittchen und Prosecco gegen Pommes und Bratwurst zu tauschen. Wir schimpften über unsere nervigen Eltern, lästerten über die Gäste, verschwesterten uns in den folgenden
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