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Raum

Raum

Titel: Raum
Autoren: Emma Donoghue
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GESCHENKE
    Heute bin ich fünf. Als ich gestern Abend in Schrank eingeschlafen bin, war ich noch vier. Aber dann wache ich im Dunkel in Bett auf und bin plötzlich fünf, Abrakadabra. Davor war ich drei, dann zwei, dann eins und dann null. »War ich auch schon mal minus was?«
    »Hmm.« Meine Ma reckt sich und streckt sich.
    »Oben im Himmel, meine ich. War ich da minus eins, minus zwei, minus drei und so?«
    »Aber nein, das mit dem Zählen hat erst angefangen, als du auf die Erde runtergerauscht bist.«
    »Durch Oberlicht. Und du bist ganz traurig gewesen, bis ich in deinem Bäuchlein passiert bin.«
    »Stimmt genau.« Ma lehnt sich aus Bett und schaltet Lampe an, der macht alles ganz hell, schwuppdiwupp .
    Ich kneife gerade noch rechtzeitig die Augen zu, dann mache ich eins wieder ein klitzekleines bisschen auf, dann alle beide.
    »Ich habe so viele Tränen geweint, bis gar keine mehr übrig waren«, erzählt sie mir. »Hab einfach nur dagelegen und die Sekunden gezählt.«
    »Wie viele Sekunden?«, frage ich sie.
    »Millionen und Abermillionen.«
    »Nein, wie viele genau?«
    »Irgendwann bin ich aus der Reihe gekommen«, sagt Ma.
    »Und dann hast du immer und immer wieder dein Ei beschwört, bis du kugelrund geworden bist.«
    Sie grinst. »Ich konnte spüren, wie du getreten hast.«
    »Was habe ich getreten?«
    »Mich natürlich.«
    An der Stelle muss ich immer lachen.
    »Von innen drin, bumm bumm .« Ma hebt ihr Schlaf-T-Shirt hoch und lässt ihr Bäuchlein springen. »Da dachte ich mir, Jack ist wohl unterwegs. Und ganz früh am Morgen kamst du dann rausgeflutscht und lagst auf dem Teppich, deine Augen waren ganz weit auf.«
    Ich gucke auf Teppich, sie hat lauter rote, braune und schwarze Zickzackstreifen. Und da ist der Fleck, den ich aus Versehen verschüttet habe, als ich geboren wurde. »Dann hast du die Schur abgeschneidet und ich war los«, erkläre ich Ma. »Und dann bin ich ein Junge geworden.«
    »Ein Junge warst du eigentlich schon vorher.« Sie steigt aus Bett geht zu Thermostat, um die Luft heiß zu machen.
    Ich glaube nicht, dass er gestern nach neun noch gekommen ist. Wenn er da war, ist die Luft immer anders. Ich frage aber nicht, weil sie nicht gern über ihn reden tut.
    »Also, Freund Fünf, hättest du dein Geschenk lieber vor oder nach dem Frühstück?«
    »Was kriege ich, was kriege ich?«
    »Ich weiß ja, dass du gespannt bist«, sagt sie, »aber du darfst trotzdem nicht an deinem Finger kauen, sonst krabbeln Bazillen durch das Loch.«
    »Und die machen mich dann krank so wie damals, als ich drei war und brechen musste und Durchfall hatte?«
    »Sogar noch schlimmer«, sagt Ma. »An Bazillen kann man sterben.«
    »Und dann kommt man ganz bald wieder in den Himmel?«
    »Du kaust ja immer noch.« Sie zieht meine Hand weg.
    »Tut mir leid.« Ich setze mich auf die böse Hand. »Sag noch mal Freund Fünf zu mir.«
    »Was ist nun, Freund Fünf«, fragt sie, »jetzt oder später?«
    Ich springe auf Stuhlschaukel, damit ich Uhr sehen kann, da steht 07:14. Ich kann auf Stuhlschaukel schon inlineskaten, ohne festhalten, und dann mache ich Engelchen, flieg bis zum Zudeck, aber diesmal als Snowboarder. »Wann muss man Geschenke denn aufmachen?«
    »Egal, beides ist gleich gut. Soll ich für dich entscheiden?«, fragt Ma.
    »Nein, ich bin fünf, ich muss selbst entscheiden.« Mein Finger ist schon wieder in meinem Mund, ich tue ihn unter die Achsel und klemme ihn fest. »Ich entscheide … jetzt.«
    Sie zieht etwas unter ihrem Kissen hervor, ich glaube, da hat es sich die ganze Nacht unsichtbar versteckt. Es ist ein Rohr aus Schreibpapier und drum herum das lila Bändchen von den Tausend Schokolädchen, die wir gekriegt haben, als Weihnachten passiert ist. »Mach auf«, sagt sie. »Schön vorsichtig.«
    Ich schaffe es, den Knoten aufzufummeln, und streiche das Papier platt, es ist eine Zeichnung nur mit Bleistift, keine Farben. Ich weiß nicht, was das sein soll, und drehe es um. »Ich!« Wie in Spiegel, nur mehr von mir, mein Kopf und mein Arm und meine Schulter in meinem Schlaf-T-Shirt. »Warum sind die Augen von mir zu?«
    »Weil du geschlafen hast«, erklärt Ma.
    »Wie hast du denn im Schlafen ein Bild gemalt?«
    »Nein, ich war wach. Gestern und vorgestern und vorvorgestern früh, da habe ich die Lampe angeschaltet und dich gezeichnet.« Sie hört auf zu lächeln. »Was ist los, Jack? Gefällt es dir etwa nicht?«
    »Nein … nicht, wenn du zur selben Zeit angeschaltet bist und ich aus.«
    »Na
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