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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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Behandlung – zwei Pillen morgens und abends, sowie eine weitere, wenn sein Hirn sich anschickt, sein Schädelventil in die Luft zu jagen. So lautet jedenfalls der vom Arzt in sein Dossier eingetragene Ausdruck, bei der ersten Konsultation. Seither belegte er das Zeitfenster montags um 10 Uhr 30. An diesem Tag stempelte er sich um 8 Uhr 30 im Staatsarchiv ein und um 10 Uhr 10 wieder aus, um sich, wie er seinen Kollegen erzählte, zur Krankengymnastik zu begeben. Dass ein Mann seines Berufs Rückenbeschwerden hat, ist nachvollziehbar. Man ließ ihn unbehelligt ziehen, und Pascal nahm die Linie 7 noch einmal zurück bis Censier-Daubenton. Um 11 Uhr 20 war er stets wieder da und um 17 Uhr 40 machte er Schluss, um die siebzig Minuten nachzuholen, die er damit verbracht hatte, seine Schmerzen zu behandeln. Indessen war man doch etwas beunruhigt, dass sein Rückenleiden nicht besser werden wollte. Chronisch, es ist chronisch geworden, antwortete Planche ausweichend, bevor er sich wieder auf seine zu beschriftenden Papierbündel stürzte.
    Hin- und hergezogen zwischen den Qualen des Denunzianten und seiner Bürgerpflicht, war er es, der den Polizisten von dem Telefongespräch am 16. November zwischen Viviane Hermant und dem Arzt berichtete und von dem Termin um die Tatzeit herum, ich sage wohlgemerkt, um die Zeit herum. Sein Name taucht zum ersten Mal im
Parisien
vom Mittwoch, den 23. Dezember auf, den die Krankenschwester Viviane am nächsten Tag überlässt. Nun hat Planche aber dieser Ausgabe zufolge nicht glaubhaft belegen können, wie er am 16. November die Zeit zwischen 17 Uhr 40 und 21 Uhr verbracht hatte. Schlimmer noch, seine Aussage, wonach er wie jeden Tag nach Hause gefahren sei, wurde von seiner Nachbarin aus demselben Stock widerlegt.
    In dem hufeisenförmigen Gebäude in der Rue de l’Argonne gehen die Fenster der Nachbarin direkt auf Pascals Wohn- und Schlafzimmer hinaus. Nun sind aber diese Fenster bis um 20 Uhr 35 dunkel geblieben. Sie erinnert sich sehr gut daran, weil er zu ungewöhnlich später Stunde zurückgekehrt ist, und zwar genau in dem Augenblick, als das Finale einer Fernsehshow begann, die eine gewisse Vorstellung von Allgemeinbildung feiert – sie versäumt nie die Finale, der Moderator ist so schön, und man sieht ihn da länger als sonst. So kommt es, dass Pascal sich in Untersuchungshaft wiederfindet, Ausgabe des
Parisien
vom 25. Dezember. Fröhliche Weihnachten, sagt die Krankenschwester zu Viviane.
    Es folgen mehrere Tage, an denen sich gar nichts tut. Dann lässt man eines Tages die Zellentür einen Spalt offen. Viviane hat nicht gerade die Absicht, die Flucht zu ergreifen, aber es ist schon eine Weile her, seit sie die Nase ins Freie gestreckt hat. Das Baby an ihre Schulter gedrückt, wagt sie sich auf den Flur, durch den zwei Krankenschwestern mit medizinischen Gerätschaften beladene Rolltische schieben. Rechts eine weiße, von Dutzenden von Türen durchbrochene Wand, links eine mit muskulösen Gittern versehene Fensterreihe, die auf einen schmalen, kahlen Hof hinausgeht. Sie gelangt zum Aufzug, und da die Krankenschwestern ihr immer noch nicht die geringste Aufmerksamkeit schenken, betritt sie die Aufzugskabine. Die Türen schließen sich, ihre Innenwände warten mit dem Spiegelbild einer blässlichen, sehr schlecht frisierten Silhouette auf. Auf gut Glück drückt sie auf den ersten Stock.
    Diese Etage ist genauso angelegt, nur dass es keine Gitter an den Fenstern gibt und dass am Anfang des Flurs Schilder auf die verschiedenen Abteilungen hinweisen. Sie geht den Flur hinunter, langsam wird ein Spaziergang draus, kehrt wieder um. Ruft den Aufzug zurück und verlangt das Erdgeschoss. Hier sieht es völlig anders aus. Viviane geht eine Galerie mit verglasten, auf einen breiten Innenhof hinausgehenden Arkaden entlang, der auf der einen Seite von einem Buchsbaumlabyrinth, auf der anderen von einer Art griechischem Tempel abgeschlossen wird, und rückt in Richtung Empfangshalle vor. In dem großen Saal, wo die beiden den Innenhof umsäumenden Galerien zusammentreffen, dämmern Patienten auf Metallsitzen vor sich hin und zerknittern Krankenkassenpapiere, während sie darauf warten, dass sie an die Reihe kommen, und in der Mitte öffnet sich die Eingangstür. Oder Ausgangstür, wie man will. Sie ist durchaus zugänglich, es genügt, sich darauf zuzubewegen, um die automatische
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