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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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Ihnen an den Gliedern, Ihre Atmung gerät aus dem Gleis, wie neulich auf dem Pont Saint-Michel, Tausende von Fliegen durchschwirren Ihren Schädel, hämmern an Ihre Ohren, und mit einem Schlag sind Ihnen Ihre Kräfte wiedergegeben. Sie erheben die Faust gegen die gesicherte Tür, Sie schlagen, bis Ihr Arm blau wird, bis der Schmerz vom Kopf in den Körper gelangt, bis man kommt und Ihnen Ihre Pillen verabreicht.
    Das dauert noch drei Tage, dann hat man sich wohl mit dem Inspektor verständigt: Sobald die Neuroleptika aufhören zu wirken, kreuzt er mit seinem Assistenten auf – dem, der nach nichts aussieht, dessen Gesicht Sie nie behalten können. Sie verlangen einen Anwalt. Der Inspektor sagt Also, Madame Hermant, wir sind hier nicht in einem Film, so geht es im Leben nicht zu, Sie müssen mir zuerst ein paar Fragen beantworten. Er lässt Sie eine Zeitlang schmoren, bis das Meer ansteigt, stellt einfache Fragen zum Zeitvertreib, sowas wie Erzählen Sie mir mal, was da neulich passiert ist auf dem Pont Saint-Michel. Aber es ist deutlich zu sehen, dass es ihn nicht interessiert. Er wartet bloß, bis Sie vor seinen Augen total verrückt geworden sind, während sein Assistent mit den Fingernägeln zwischen seinen Zähnen herumpult.
    Nach einer Stunde sind Sie zu allem bereit und packen aus. Aber der Bericht ist so konfus, dass der Inspektor Sie auffordert, langsam zu machen, sich ein bisschen mehr Mühe mit der Chronologie zu geben, Madame Hermant, denn klar war das jetzt nicht gerade. Allmählich baut sich Ihr Diskurs auf, und Sie erzählen in allen Einzelheiten, wie Sie den 16. November verbracht haben. Wie Sie die Messer aus der Wohnung Ihres Mannes geholt, einen Termin bei dem Arzt ausgemacht und die Kleine in der Obhut von niemandem gelassen haben, während Sie in die Rue de la Clef gegangen sind. Wie der Arzt Sie zu diesem unerklärlichen Ausbruch provoziert hat. Wie Sie diese Tat begangen haben, die Sie niemals hätten vollbringen sollen – man denke bloß an die untadelige Erziehung, die Ihnen Ihre Mutter hat angedeihen lassen.
    Danach verlangt der Inspektor Präzisionen. Die Umstände müssen auf solider Grundlage ermittelt werden, das ist wichtig sagt er für die Akte. Der Assistent notiert in flottem Tempo, Sie geben alle Details an, die er wünscht, aber der Inspektor will immer neue hören, irgendwann erbost er Sie. Sie haben Ihr Verbrechen gestanden, was braucht er mehr, man könnte meinen, er glaubt Ihnen nicht. Schließlich tut dem Assistenten das Handgelenk weh, die beiden ziehen sich zurück. Sie sagen Gut, kann ich jetzt meine Pillen haben? und der Inspektor sagt Ich werde sehen, was ich tun kann.
    Dann marschieren die Spezialisten auf. Es werden einige auf den ersten Blick recht einfach wirkende Tests mit Ihnen gemacht, durch die Ihr Grad an Logik, die Tiefe Ihrer Gedankengänge gemessen werden sollen. Die Spezialisten geben ihr Fazit nicht preis, aber an ihren Gesichtern ahnt man, dass sie schon Schlimmeres, dass sie auch schon Besseres gesehen haben.
    Nachdem diese Übungen erschöpft sind, schickt man Ihnen die Chef-Bewerterin. Diese will wissen, wie Sie nachdenken, wie sich die jüngsten Belastungen auf Ihr Weltanschauungsgebäude und Ihr Verteidigungsarsenal ausgewirkt haben. Sie scheint ein besonderes Interesse an Ihrer Mutter zu haben. Ja, erzählen Sie ihr von Ihrer Mutter. Kein Problem. Sie berichten von der Wohnung, und jetzt kommt alles an die Reihe, das Mobiliar, die Gegenstände auf dem Kaminsims, der Efeu im Wohnzimmer, das Rankenmuster des Teppichs. Die Bewerterin beobachtet Sie achtsam.
    Die Tage vergehen, Sie wissen nicht, ob es wirklich vorangeht mit dem gerichtlichen Gutachten, aber Sie denken nicht mehr an die Zukunft. Jedenfalls werden Sie nicht im Hôtel-Dieu-Krankenhaus bleiben, das ist nur ein Durchgangsort. Man bekommt ein bisschen den Eindruck, eine Zugreise zu machen, eine Kreuzfahrt im Mittelmeer: Die Zeit scheint angehalten, die Bewegung schützt vor den Pfeilen. Zufrieden mit Ihrem jüngst aufgekommenen Gleichmut, setzt der Chefarzt Ihre Dosis herunter. Und man befindet, dass dieser Aufenthalt Sie tatsächlich zur Ruhe gebracht hat.
    Allerdings fangen Sie nun an, sich heftig zu langweilen. Sie beschweren sich bei der Krankenschwester, zu deren Haupteigenschaften nicht die Empathie zählt. Doch hat sie nicht das Herz, Ihnen ein wenig Zerstreuung auszuschlagen, und so schenkt
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