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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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heute gemacht haben. Das Baby hat Sie um sechs Uhr aufgeweckt. Eine schwache Klage erhebt sich in dem trotz fehlender Fensterläden noch dunklen Zimmer. Sie öffnen halb die Augen, murmeln eine dumme Melodie, einen jener Popsongs, die Sie mit fünfzehn gelernt haben, die einzigen Wiegenlieder, die Sie kennen. Dann machen Sie das Fläschchen warm und schlüpfen unter die Dusche, bis es die richtige Temperatur erreicht hat. Das Kind liegt in der Küche in Ihrem Arm, es trinkt und Sie denken beide an nichts mehr. Nach einigen Minuten legen Sie es wieder in die Wiege, um seine Sachen zusammenzusuchen, Ihre Haare zu kämmen, Ihre Lider mit dem Pinsel zu betonen. Zusammen gehen Sie hinaus.
    Die Kinderfrau wohnt in der Rue Chaudron. Von Ihrem Haus aus, an der Ecke der Rue Cail und der Rue Louis-Blanc, geht es geradeaus, dann links, dann rechts. Die Kinderfrau beschränkt ihre Leistungen auf ein Minimum. Sie achtet darauf, dass die Örtlichkeiten peinlich sauber sind, betreut das Kind auf untadelige Weise und verausgabt sich nie mit unnötigen Höflichkeiten. Das ist Ihnen durchaus recht so. In einem Monat nehmen Sie Ihre Arbeit wieder auf, und die Kleine muss sich daran gewöhnen, ein wenig ohne Sie auszukommen.
    Bis um zwei Uhr nachmittags sind Sie mit Formalitäten beschäftigt, die den Umzug, die Scheidung, das Kindergeld für Alleinerziehende betreffen. Sie kaufen auch ein paar Kleidungsstücke, gehen zum Friseur, wo Sie die Dienste der Maniküre, die Ihnen angeboten werden, in Anspruch nehmen. Früher, als es noch so aussah, als würden Sie kinderlos bleiben, mussten Sie sich häufig von Ihren Freundinnen, die schon Kinder hatten, sagen lassen, wie viel Glück Sie doch hätten, sich um sich selber kümmern zu können. Sollte das Glück sich wenden, haben Sie beschlossen, Ihrer Nachkommenschaft die Verantwortung für Ihre vernachlässigte Schönheit zu ersparen.
    Das Omelett ist jetzt soweit. Mithilfe eines Pfannenwenders falten Sie es zu einem Halbmond zusammen und lassen es auf einen Plastikteller gleiten, wobei Sie auf den Tellerrand klopfen, um dieses eigentümliche Material, das so gut Porzellan imitiert, zum Klingen zu bringen. Sie haben es im Monoprix an der Gare du Nord gekauft. Ohne genauer hinzusehen, denn Sie waren zu sehr damit beschäftigt, aus dem Augenwinkel einen anderen Kunden vor demselben Regal zu beobachten. Er war ungefähr in Ihrem Alter, untersuchte die gleichen Modelle. Sie versuchten zu erraten, ob auch er notgedrungen das Familiengeschirr zurückgelassen hatte. Sie haben nicht die Unverfrorenheit besessen, ihn zu fragen.
    Ãœber der Mitte des Halbmonds schütten Sie den Inhalt einer Dose Karotten- und Erbsengemüse aus und stellen das Ganze in die Mikrowelle, ein leichter Verstoß gegen die Kunst des Omeletts, wobei Sie mit den Gedanken wieder zurückkehren zu dem, was Sie am Morgen gemacht haben. Es sieht ganz so aus, als seien Sie zu Ihrem Mann gegangen: Sie haben noch den Schlüssel, und es gibt da mehrere Gegenstände, von denen Sie gemerkt haben, dass sie Ihnen fehlen.
    Die Wohnung in der Rue Louis-Braille hat sich seit einem Monat nicht verändert. Julien sagt, er werde umziehen, aber das scheint zu dauern. Übrigens wirkt es nicht so, als verbrächte er viel Zeit hier. Das Spülbecken und der Geschirrständer sind leer, im Mülleimer ist kein Plastikbeutel, und das Fernsehprogramm stammt noch von vor Ihrem Auszug. Sie holen sich ein rechteckiges Tablett, ein paar Handtücher und den Toaster. Im Schrank des zweiten Schlafzimmers – das für das Kind vorgesehen gewesen war – stoßen Sie, auf der Suche nach einer Tragetasche, um die Sachen zu verstauen, auf Ihre Hochzeitsgeschenke. Es gibt beim besten Willen keinen Grund, warum dieser Mann, der Sie so schlecht geliebt hat, den Sie so heftig begehrt haben, und der Sie derart enttäuscht hat, das achtteilige Küchenmesser-Set behalten sollte, das Ihre Mutter Ihnen zu dieser Gelegenheit geschenkt hat. Sie haben die Messer an sich genommen und in Ihre Handtasche gesteckt, daran erinnern Sie sich, und das ist schon gar nicht so schlecht. Sie essen den letzten Bissen Omelett auf und gehen zu Bett.

2
    Am nächsten Morgen, Dienstag den 17. November, ist Ihr Gedächtnis wieder vollständig zurückgekehrt. Die Uhr am Fuße des Bettes zeigt 5:03. Es bleibt noch ungefähr eine Stunde, bis das Kind aufwacht, eine Stunde, um eine
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