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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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Unheil mehr anrichten wird.
    Der Blutfleck weitet sich auf dem blauen Hemd aus. Bald entsteht eine Pfütze an seiner linken Seite, dann eine Lache, die sich bis zum Teppich ausbreitet. Sie bringen Ihre Schuhspitzen in Sicherheit. Sie denken an nichts, Sie haben keinerlei Strategie, aber vielleicht flackert die Erinnerung an einen Film oder einen Krimi durch Ihr Hirn, und es scheint Ihnen besser, nicht gesehen zu werden in den nächsten Minuten, wie Sie mit verstörtem und blutbeflecktem Gesicht aus der Arztpraxis kommen. Sie wischen das Messer an Ihrem Pullover ab, die Flüssigkeit dringt durch die Wolle bis auf die Haut Ihres Bauches. In der Tasche Ihres Regenmantels entdecken Sie eine zusammengeknäulte Tüte. Darin wird das Messer eingewickelt, dann vergewissern Sie sich, dass Sie nichts vergessen haben, und verlassen den Raum. Sie hinterlassen mindestens tausend belastende Spuren, aber, auch wenn Sie die Nacht vor Ort verbrächten, könnten Sie sie nicht entdecken, da Sie nie daran gedacht haben, Ihre Kompetenzen als Mörderin zu perfektionieren.
    In der Rue de la Clef ist nicht mehr los als vorhin. Die erste Person, der Sie begegnen, ist an der Ecke der Rue Monge eine junge Frau mit dem schlecht gelaunten Gesicht eines Montagabends; unter ihrem einen Arm klemmt ein Baguette, am anderen hängt ein kleiner Junge. Sie kommen an der Kreuzung heraus, wo sich die Metrostation befindet und mehrere Brasserien mit beheizten Terrassen, wo Dutzende von Kunden nichts Besseres zu tun haben, als die Passanten zu beobachten und sich die Erscheinung der malerischsten Fußgänger einzuprägen. Sie stürzen sich in den Untergrund hinein.
    Auf dem Bahnsteig kündigt eine elektronische Anzeige drei Minuten bis zum nächsten Zug an. Sie setzen sich auf einen orangefarbenen Sitz, belauern heimlich die Umstehenden – drei junge Männer in Anzügen, zwei Studentinnen mit kleinen Nägeln in der Nase, am Augenbrauenansatz, in den Läppchen ihrer hübschen Ohren, einen grün gewandeten Afrikaner. Sie warten darauf, von ihnen entlarvt zu werden. Es muss auf Ihrem Gesicht zu lesen sein, dass Sie soeben einen Mann getötet haben. Aber der Afrikaner ist in seine kostenlose Zeitung vertieft, die Studentinnen beobachten die Spielchen der Mäuse zwischen den Gleisen, und die anderen unterhalten sich über die monatlichen Barometer des Automobilgeschäfts.
    Der Zug fährt in die Station ein. Die Insassen stehen gegen die Scheiben gedrängt, bis die Türen sich öffnen, strömen dann auf den Bahnsteig, strömen alsdann, die Anordnung des Signals befolgend, fügsam wieder zurück, und die neu Zusteigenden erkämpfen sich mit den Ellenbogen einen Platz im Waggon. Sie stoßen langsam bis ins Herz der Menge vor. Einige Männer betrachten Sie zerstreut, aber Ihr Gesicht scheint wieder aus ihrem Gedächtnis zu verschwinden, sobald sie den Blick woandershin richten.
    An der Station Stalingrad wirft Sie die Flut der Aussteigenden aus dem Zug und treibt Sie an die Oberfläche hoch, Boulevard de la Chapelle. Fünf Minuten später sind Sie vor Ihrem Haus angekommen. Sie begegnen keiner Seele bis zum fünften Stock, von der weißen Katze in der zweiten Etage abgesehen, die ihren Spaziergang beendet hat und darauf wartet, dass man ihr die Tür öffnet. Während Sie noch den Schlüsselbund im Außenfach Ihrer Handtasche suchen, fällt Ihnen ein, dass das unnötig ist, da Sie nicht abgeschlossen haben. Es genügt, den Türknopf zu drehen, und Sie hören das Gezwitscher, das sich aus der Wiege erhebt – das Baby ist gerade erst wach geworden. Sie beeilen sich, all Ihre Kleider in die Waschmaschine zu werfen. Völlig nackt unter der ebenfalls nackten Glühbirne säubern Sie das Messer mit Geschirrspülmittel, mit Chlor, mit Terpentin, dann verstauen Sie es in dem Etui bei den anderen. Währenddessen wird das Fläschchen warm, Sie wiegen die Kleine, die trinkt und einschläft. Im Schaukelstuhl inmitten des leeren Wohnzimmers vergessen Sie.

3
    Am nächsten Morgen, Dienstag den 17. November, ist das Gedächtnis wieder ganz hergestellt. Die Uhr am Fuße des Bettes zeigt 5:58. Es bleiben noch ungefähr zwei Minuten, bis das Kind aufwacht, zwei Minuten, um eine Lösung zu finden, um, so weit es geht, die überall verstreuten Scherben zusammenzukehren.
    Viviane steht auf und nähert sich der Wiege. Mit der Spitze ihres
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