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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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sehen ihn kaum mehr, dann den Inspektor, aber Sie können ihn nicht besser erkennen. Alles, was Sie erblicken, sind die Scheinwerfer der Autos am Boden, die Glühbirnen der Laternen am Himmel, und sehr bald zerfließen die beiden ineinander. Sie wissen nicht mehr, was was ist, wo unten und wo oben, ob Sie es sind, hier draußen, ob es eine andere ist oder ein Traum und ob Sie je wieder daraus zurückkehren werden. Sie hören auf zu atmen, Sie fallen nieder.

17
    Man schafft Sie ins Hôtel-Dieu-Krankenhaus, das zwei Schritte vom Justizpalast entfernt liegt. In den ersten Tagen geht es nicht besonders. Genauer gesagt, geht es Ihnen so miserabel, dass man Ihnen haufenweise Pillen verabreicht, ähnlich denen, die Ihnen der Doktor früher verschrieb, nur viel wirksamer. Bald erreichen Sie einen pflanzenähnlichen Zustand. Der Anblick der Wände beansprucht Ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie werden nicht müde zu beobachten, wie sich die Winkel verändern, wenn Sie den Kopf nach rechts, nach links, von oben nach unten bewegen. Ein breites Lächeln zeigt sich auf Ihren Zügen, ein Speichelfaden entweicht aus einem Ihrer Mundwinkel. Mehrere Minuten sind nötig, um das zu bemerken, mehr noch, um sich darum zu kümmern, zu entscheiden, ob es hinnehmbar ist, dass er bis zum Kinn hinunterläuft. Manchmal wischen Sie ihn weg mit einer Unterwasserlangsamkeit, manchmal pfeifen Sie drauf.
    Von Zeit zu Zeit zeigt sich ein Mensch im weißen Kittel und kontrolliert Ihren Zustand, betupft eventuell Ihre Lippen und verabreicht Ihnen Ihre Dosis. Nach einigen Tagen (Sie könnten nicht sagen, wie viele), beschließt man, diese zu vermindern, man versucht es, testweise. Sehr schlechte Idee. Sobald die vorige aufgehört hat zu wirken, sind Sie derart außer sich, dass der Oberarzt es mit der Angst bekommt, er sagt Geben Sie ihr ihre Dosis, sie ist noch nicht so weit, absolut nicht so weit. Der Inspektor, der auf dem Flur Wache steht, kehrt zum Kommissariat zurück.
    Indessen gewöhnt sich Ihr Organismus schließlich an diese Produkte, die in seinen Arterien kreisen und Ihre Synapsen besuchen, um sie in aller Freundlichkeit zu betäuben. Einige Gegenstände heben sich von den Wänden ab. Nichts besonders Ausgefallenes, denn wenn erst einmal alles Spitze, Schneidende, Stabähnliche ausgesondert ist, bleiben nicht mehr viele Zerstreuungsmöglichkeiten. Es gibt also einen Nachttisch auf Rollen, auf dem Plastikbecher stehen. Sie sind leer. Falls Wasser darin war, haben Sie es getrunken, aber daran erinnern Sie sich ebenso wenig wie an alles andere. Doch, da ist etwas, Ihre Tochter. Sie haben den starken Eindruck, dass Sie eine Tochter haben. Woraus folgt, dass Sie auch eine Mutter haben. Dieser beiden entsinnen Sie sich gut.
    Sie stellen fest, dass man Ihnen einen äußerst unbequemen Schlafanzug angezogen hat, aus einem undefinierbaren Material zwischen Stoff und Papier. Und Ihre Internats-Bettwäsche – sehr eigentümlich, diese Laken. Wirkt wie Plastik. Jedenfalls absolut unzerreißbar. Sie fangen auch an, Geräusche im Flur zu hören, kurze Wortwechsel zwischen dem Pflegepersonal und den Polizeikräften, den Untersuchungsrichtern und den Anwälten, dazwischen betrunkene Eulenschreie, gefolgt von langen Momenten der Stille. Okay, Sie können sich vorstellen, woran Sie sind.
    Dann, eines Morgens, sehen Sie plötzlich ganz klar. Auch haben Sie große Angst. Als die Krankenschwester das Frühstück bringt, das aus vier Scheiben Zwieback besteht und einer Schale braunen Gesöffs, von dem behauptet wird, es sei Tee, setzen Sie sich auf den Bettrand und sagen mit sehr gesetzter Stimme So geht das nicht, ich will hier nicht bleiben, ich will mein Kind wiederhaben. Die Krankenschwester betrachtet Sie eingehend mit unergründlichem Gesichtsausdruck und geht den Chefarzt benachrichtigen.
    Dieser, ein großer vierschrötiger Mensch mit rötlichem Schnurrbart, befragt Sie, ohne auf Ihre Antworten zu achten, beobachtet Ihre Reaktionen. Als Sie sagen, Sie hätten Angst, erklärt er Das ist unwichtig. Sie wiederholen Doch, ich habe wirklich große Angst, Sie müssen etwas tun, mir neue Pillen verschreiben, ich kann Ihnen die Namen der Medikamente geben, ich werde verrückt, wenn ich sie nicht bekomme. Er antwortet Sie sind hier nicht im Supermarkt und geht.
    Mit Ihrer Angst alleine zurückgeblieben, schwitzen Sie ungeheuer. Der Schlafanzug klebt
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