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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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beobachtete
sie bei der Arbeit.
    Als die Ersthelfer die Türen
des Rettungswagens schlossen, hielt ein zweiter Streifenwagen neben uns. Mir
blieb nur eine Sekunde, um Charles zuzuflüstern: »Wir sind aber nicht infiziert
worden, oder?«
    Â»Heute ist nicht Vollmond«,
antwortete er leise. Die Formwandler, die bei uns behandelt wurden, unterlagen
dem Rhythmus des Mondes: War er voll, blieben sie ganz in ihrer Tiergestalt
gefangen, bei Neumond waren sie normale Sterbliche.
    Â»Sie beide haben alles
beobachtet?«, fragte der Polizist von vorhin. Charles nickte, woraufhin der Cop
ihm weitere Fragen stellte.
    Ich bezweifelte stark, dass
unsere Aussagen sonderlich hilfreich sein würden. Der Laster war schwarz
gewesen, mehr wusste ich auch nicht. Ich hatte nicht daran gedacht, mir das
Kennzeichen zu merken, der schlimme Aufprall des Mannes hatte mich zu sehr
abgelenkt. Charles ging es ebenso, und inzwischen waren die meisten anderen
Schaulustigen verschwunden.
    Â»Hat der Lastwagen überhaupt
abgebremst?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es
ging alles so schnell.« Es bestand die Möglichkeit, dass der Fahrer ihn nicht
gesehen hatte. Das war nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich. Doch ihm konnte
unmöglich entgangen sein, dass er jemanden überfahren hatte. »Er ist einfach
weitergefahren«, erklärte ich und schüttelte noch einmal fassungslos den Kopf.
    Â»Der Mann hatte Glück«, sagte
der Polizist, nachdem er sich unsere Namen notiert hatte. »Normalerweise
passieren Unfälle mit Fahrerflucht nicht direkt vor einem Krankenhaus.« Er
steckte seinen Notizblock weg. »Meine Frau arbeitet hier, sie ist
Atemtherapeutin. Auf welcher Station arbeiten Sie?«
    Â»Personalverwaltung«, sagte
Charles.
    Â»Pädiatrie«, antwortete ich
gleichzeitig.
    Â»Na ja … wenn er überlebt,
können wir die Sache vielleicht aufklären.«
    Charles und ich nickten,
anschließend stieg der Polizist in seinen Wagen und fuhr davon.
    Â»Das war ganz schön knapp mit
diesen Typen mit den Handys«, meinte ich mit klappernden Zähnen. Jetzt, wo ich
nicht mehr rannte, fror ich fast am Boden fest.
    Â»Stimmt.« Erst nachdem der
Verletzte weggebracht worden war, hatte sich der Verkehr wieder normalisiert.
Nach einer Werwolfsichtung hätte der Stau wohl länger gedauert.
    Â»Was wäre passiert, wenn wir
nicht zur Stelle gewesen wären?«
    Â»Keine Ahnung. Vielleicht
hätten sich die Schatten um alles gekümmert – letzten Endes werden sie das
sowieso tun.«
    Â»Du meinst die Polizei und das
alles?«
    Â»Polizei, Atemtherapeutinnen,
das ganze Programm.«
    Â»Na toll.« Die Schatten waren
dunkle, amöbenartige Wesen, die unter dem County lebten und sich von dem
Schmerz und der Trauer ernährten, die in der Klinik entstanden. Im Gegenzug
»schützten« sie unsere Station, sodass nur die Mitarbeiter von Y4 überhaupt wussten, dass Y4 existierte – bei allen anderen griffen die Schatten in das Bewusstsein ein und
manipulierten es. Vielleicht waren wir der Frau des Polizisten hin und wieder
einmal begegnet, aber wahrscheinlich hätte sie sich nicht einmal an uns
erinnern können, wenn ihr Leben davon abhinge. »Bist du sicher, dass wir nicht
infiziert sind?«, fragte ich Charles noch einmal. Ich kannte die Regeln, aber
ich wollte es aus seinem Mund hören.
    Â»Ganz sicher. Formwandlerblut
ist nur bei Vollmond infektiös. Du kannst dich aber trotzdem behandeln lassen.«
    Â»Machst du es?«
    Charles musterte sein Knie.
»Kommt darauf an, wie schnell sich der Mist abwaschen lässt.«
    Wir betraten das
Krankenhaus ohne Hektik, sodass wir trotz blutverschmierter Kleidung an den
Wachleuten vorbeikamen. Rennerei wurde nicht gern gesehen – bluten allein war
okay. Charles und ich gaben vor, in die Notaufnahme zu müssen, und gingen dann
über Umwege zu unserer Station. Dabei hinterließen wir so schmierige rote Stiefelabdrücke,
dass ich fast Mitleid mit dem Hausmeister bekam, doch der hatte bestimmt schon
Schlimmeres aufgewischt.
    Als wir am Fahrstuhl zu Y4 ankamen, hielt ich
meinen Ausweis bereit, bemerkte dann aber, dass mein Name durch einen blutigen
Daumenabdruck verdeckt wurde. »Igitt. Das wird ja immer widerlicher.«
    Charles tat so, als hätte er
das nicht mitgekriegt. »Was? Ich habe nicht zugehört, sondern von einer heißen
Dusche geträumt.«
    Grinsend ergänzte ich:
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