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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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Kälte kroch mir die Schienbeine hinauf, die dünnen Baumwollkittel
hielten weder Wärme drin noch Kälte draußen – bis ich meinen kleinen Chevy
erreicht hatte, war ich halb erfroren. Schnell startete ich den Wagen und
drehte die Heizung voll auf. Dann hielt ich meine nackten Hände wie in einem
stummen Gebet direkt vor die Lüftung. Als ich weit genug aufgetaut war, um ein
Fahrzeug führen zu können, fuhr ich Richtung Heimat, wobei ich direkt an der
Unfallstelle vorbeikam. Andere, unwissende Fahrer rollten über das Blut des
Fremden, aber ich nicht. Ich wechselte die Spur.
    Bis ich zu Hause ankam, war mir
warm, dafür fühlte ich mich nun wieder ekelig. Die Katzenwäsche am Becken im
Waschraum hatte einfach nicht ausgereicht. Ich spürte den Schweiß und den
Dreck, ganz zu schweigen vom Blut, das bestimmt noch tief in meinen Poren saß.
Falls ich jemals anständig verdiente, würde ich mir eine Desinfektionsdusche
einbauen lassen.
    Ich parkte nah an der Wohnung,
rannte hinein und schloss die Tür hinter mir ab. Meine Siamkatze Minnie kam zur
Wohnungstür, um mich zu begrüßen. Sie schnupperte an mir und stieß ein
enttäuschtes Jaulen aus – natürlich wusste sie sofort, dass ich mich mit Hunden
rumgetrieben hatte. »Ja, ich weiß.« Während ich mich aus meinen Klamotten schälte,
kam ein deutscher Wortschwall von der Arbeitsplatte in der Küche. Dort stand
Großvaters CD -Player.
    Â»Nicht du auch noch.« Es war
schon eine Weile her, dass er zuletzt mit mir gesprochen hatte, aber ehrlich
gesagt hatte ich sowieso nie die leiseste Ahnung, was er eigentlich wollte. Ich
hatte ihn von einem Patienten übernommen – oder vielleicht sollte ich besser
sagen, Großvater hatte mich erwählt –, aber er sprach ausschließlich Deutsch,
was ich leider nicht verstand. Er lebte in einem CD -Player, in dem sich
weder eine CD noch Batterien befanden. Eigentlich wollte ich
ihn nicht als Geist bezeichnen … aber ich wusste auch nicht, was er sonst sein
könnte. Meistens verriet mir sein Tonfall, wie er sich gerade fühlte. Heute
klang er so, als wäre ich in Schwierigkeiten.
    Â»Du hast mir auch gefehlt,
Großvater.« Zärtlich tätschelte ich den Player. Der Deckel schloss nicht mehr
richtig, aber das war nicht weiter wichtig. Er sagte noch etwas, das ziemlich
schnippisch klang, dann schaltete das Kontrolllämpchen auf gelb.
    Â»Ihr klingt, als hätte ich
etwas angestellt.« Mantel und OP -Kleidung wanderten in einen Plastiksack, damit
es nicht noch mehr Flecken gab. Verdammt, das einzige saubere Kleidungsstück
bis zum nächsten Waschgang war mein BH . Aber die Wäsche konnte auch noch warten, bis
ich geduscht hatte.
    Ich ging ins Bad, stellte die
Dusche auf kochend heiß und hielt dann die Hand unter den Strahl, bis das
Wasser warm war. Sobald ich es auf der Haut spürte, beruhigte mich das heiße
Wasser. Hoch konzentriert und noch penibler als sonst schrubbte ich jeden
Quadratzentimeter Haut – sogar noch gründlicher als damals nach dem Tuberkulosepatienten.
    Als ich schließlich rosig und
nass aus der Dusche trat, spürte ich sofort den kalten Luftzug, der unter der
Tür hindurchwehte und das feuchtwarme Dschungelklima im Bad verdrängte.
Außerdem redete Großvater da draußen wieder, und er klang extrem ungehalten. Es
war Dezember, da hatte ich bestimmt kein Fenster offen gelassen …
    Die alte Edie wäre leichtsinnig
ins Wohnzimmer gegangen und hätte sich unterwegs überlegt, was wohl passiert
war. Die neue Edie knotete ihren Bademantel zu, schnappte sich die Saugglocke
und umklammerte sie wie eine Keule, während sie erst einmal an der
Badezimmertür horchte, bevor sie sie öffnete.

Kapitel 5
    Â 
    Meine
Wohnung war winzig, das Badezimmer lag direkt gegenüber vom Schlafzimmer.
Verstohlen öffnete ich die Tür und spähte in den dunklen Raum hinüber. Dann
hörte ich, dass jemand in meinem Wohnzimmer war.
    Â»Also wirklich, was du
so daherredest«, sagte eine weibliche Stimme. Die deutsche Schimpftirade ging
weiter.
    Ich rannte durch den Flur und
hechtete mit erhobener Saugglocke ins Wohnzimmer. »Wer ist da?«
    Im sanften Schein meiner
Nachttischlampe entdeckte ich ein blondes Mädchen, das neben der Couch kniete.
Es dauerte einen Moment, bis ich sie erkannte – Anna sah wesentlich älter aus
als bei unserer letzten
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